Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Dagmar Ullmann-Bautz · 19. Mai 2021 · Literatur

„Getriebene“ – der erste Roman von Armin Wühle

Am 20. Mai wird im Kosmodrom in Bregenz das Stück „Die Ungetrösteten“ uraufgeführt - eine Arbeit des Autors Armin Wühle, mit der er im letzten Jahr den dritten Platz im Stückewettbewerb des Theater Kosmos belegte (siehe dazu das Interview mit Armin Wühle in der KULTUR vom Mai 2021). Im Februar 2021 ist nun Wühles erster Roman mit dem Titel „Getriebene“ erschienen, ein Buch das nicht einfach nur Roman, sondern ein Stück Zeitgeschichte ist, auf der Basis von gut recherchiertem, kritischem Journalismus, spannend präsentiert in einer durchaus oftmals aufwühlenden und irritierenden Erzählung.

Erschreckender Kriegstourismus

Armin Wühle berichtet von drei jungen Menschen, ganz unterschiedlichen Charakteren, deren Wege sich in einer fiktiven Stadt namens Thikro kreuzen. Die Stadt befindet sich irgendwo in der islamischen Welt, sie war viele Jahre Kriegsschauplatz, ist nun befriedet, aber vom ringsum immer noch schwelenden Krieg nur durch eine hohe Mauer getrennt. Entlang der Mauer hat sich eine Touristenmeile entwickelt mit Restaurants, Bars, Hotels, ähnlich einer Strandpromenade, und Gäste kommen aus aller Welt, um hier „Krieg zu schauen“. Es gibt Aussichtsplattformen direkt an der Mauer, ein Kriegsmuseum und die Möglichkeit, selber Krieg zu spielen. Von der Plattform aus kann man auf die Rebellenhochburg sehen, in der Stadt die Bombeneinschläge und Maschinengewehrsalven hören. Journalist Vincent, einer der Protagonisten, erkennt schon nach wenigen Tagen Aufenthalt in Thikro: „Es ist absurd, aber das Konzept geht auf. Dieses dekorative Elend, ein bisschen Exotik, ein bisschen Gefahr. Aber mit den Annehmlichkeiten eines All-Inclusive-Urlaubs!“.

Die erste große Liebe

Der Berichterstatter ist auf der Jagd nach einer reißerischen Geschichte, um seine journalistische Karriere voranzutreiben. In Thikro trifft er auf die Aktivistin Cora, die erst für eine Flüchtlingsorganisation und später aus Not in einem Touristenhotel vor Ort arbeitet, und Milo, den Einheimischen, der als Kind und Jugendlicher den Krieg in Thikro miterlebte und  trotz schwierigster Bedingungen in seiner Heimat, wo er seine erste große Liebe erleben durfte, bleiben möchte.

Gespür und Einfühlungsvermögen

Dass sich Armin Wühle mit den Themen seines Romans auskennt, er sich mit Krieg, Flucht und deren zerstörerischen Auswirkungen auf die Menschen auf der einen und Sensationslust auf der anderen Seite zutiefst auseinandergesetzt und beschäftigt hat, spürt man in jedem Satz, auf jeder Seite seines Buches. Kaum verwunderlich, weiß man, dass Wühle für einen Verein arbeitet und sich engagiert, der sich in Deutschland um die Versorgung traumatisierter Geflüchteter kümmert. Er selbst hielt sich im krisengebeutelten Libanon auf, sammelte Meinungen und Stimmungen auch in Sarajevo. Sein Gespür für Menschlichkeit, sein Einfühlungsvermögen in die Gefühlswelten von Menschen, seiner Protagonisten, machen seinen Roman so eindrücklich und lesenswert.

Auch wenn es oft richtig weh tut, wenn man zwischendurch das Buch an die Wand werfen möchte, man muss es einfach weiterlesen und man wird belohnt und weiß nach der letzten Seite, warum dieser Roman so wichtig ist.

Sprachliches Talent

Armin Wühle, 1991 bei München geboren, hat Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, sowie Geschichte und Soziologie in Hannover studiert. Sein erster Roman und auch das von ihm eingereichte und preisgekrönte Stück „Die Ungetrösteten“ zeugen von großem sprachlichen Talent, von dem Vermögen und der Freude des Autors, mit Sprache Bilder zu erzeugen, Geschichten zu vermitteln und sich intensiv mit dem Hier und Jetzt, mit dem Menschsein heute wie auch in Zukunft, auseinanderzusetzen.

Armin Wühle, Getriebene, Marix Verlag, 2021, EAN 9783737411608