Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Annette Raschner · 12. Mai 2021 · Literatur

„Das Leben ist für mich schreibend besser zu erfassen“ - Vorarlberger Literaturpreis für Petra Pellini-Forcher

Schreiben schärft die Wahrnehmung, ist die diesjährige Gewinnerin des Literaturpreises des Landes Vorarlberg überzeugt. Petra Pellini-Forcher erhält die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung für eine Textprobe zum Thema Demenz – Arbeitstitel: „Am Puls der Zeit“. Die diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester arbeitet in einer Wohngruppe mit zwölf dementen Bewohnerinnen und Bewohnern im Sozialzentrum Weidach in Bregenz. Die Geschichte überzeugte die Kunstkommission Literatur aufgrund des frechen und frischen Tons, mit dem die Autorin ein gesellschaftspolitisch brisantes Thema verhandelt. Zwei Arbeitsstipendien gehen an Nils Nußbaumer und Ingrid Maria Kloser. Annette Raschner hat mit der in der heimischen Literaturszene bis dato weitgehend unbekannten Literaturpreisgewinnerin ein Gespräch geführt.

Petra Pellini-Forcher: Ich habe mich sehr über den Preis gefreut und sehe ihn als große Anerkennung. Da ich vom Text wirklich überzeugt und von meinem Protagonisten begeistert bin, habe ich schon etwas mit dem Sieg geliebäugelt und ihn mir erhofft. Aber das tun vermutlich alle, die einreichen.
Annette Raschner: Gibt es ein reales Vorbild für Ihre demenzkranke Hauptfigur?
Pellini-Forcher: Sie ist zusammengewürfelt aus vielen Begegnungen und Erlebnissen.
Raschner: Sie arbeiten seit mittlerweile vier Jahren im Sozialzentrum Weidach in Bregenz. Wie erleben Sie Ihre Tätigkeit dort?
Pellini-Forcher: Ich habe früher schon einmal im Senior*innenbereich gearbeitet. Die Tätigkeit ist sehr bereichernd für das eigene Leben; wenn man mit Menschen zu tun hat, die am Ende ihres Lebens stehen, mit ihrer jeweils ganz eigenen Biografie. Man kann dabei viel mitnehmen, für die eigenen Werte. Wenn man nach Hause geht und erkennt, dass man über sein Leben selbst bestimmen kann, ist das ein großes Geschenk, das man mitnimmt. Das Spannende an der Arbeit mit dementen Bewohnerinnen und Bewohnern ist, dass man sich immer wieder neu einstellen muss. Das mag ich grundsätzlich sehr. Vieles ist nicht planbar, Situationen gestalten sich stets neu, und das erfordert, dass man lernen muss, kreativ zu reagieren. Man ist richtig in der Gegenwart, man lebt im Moment.

Ein Satz als Ausgangspunkt

Raschner: Die Hauptfigur in Ihrem unveröffentlichten Prosatext wird regelmäßig von einer jungen Frau mit Suizidgedanken besucht. Sie versteht es intuitiv, mit ihm gut umzugehen. Man könnte sagen, sie ist ein Naturtalent?!
Pelllini-Forcher: Das stimmt. Sie hat einen schönen Zugang zu ihm. Sie versucht, ihn mit seinen Bedürfnissen wahrzunehmen und handelt danach. Sie mag Hubert, und sie genießt es, gute Lösungen für den Umgang mit ihm zu finden.
Raschner: Was verbindet die beiden?
Pellini-Forcher: Vielleicht ist es ihre Außergewöhnlichkeit. Sie gehen beide mit den Anforderungen der Gesellschaft nicht konform. Sie will nicht überall mittun und er auch nicht. Er macht schräge Sachen, sie will das auch tun. Sie können nicht einfach nur funktionieren.
Raschner ® Wie hat sich der Text entwickelt? Wie herausfordernd war die Findung und Zeichnung der einzelnen Figuren? Wie leicht war es für Sie, den von der Literaturkommission so gelobten, leichtfüßigen Ton zu finden?
Pellini-Forcher: Er ist mir leicht von der Hand gegangen. Wahrscheinlich aufgrund meiner Arbeit in diesem Bereich. Die Entstehung hatte einen witzigen Ausgangspunkt. Es gibt die eine Stelle, wo Kevin sagt: „Wir sind zu schnell, zu hohe Frequenz, wie 5G, viel zu schnell, wir alle.“ Von diesem Satz ist die ganze Geschichte ausgegangen. Das erlebe ich generell immer wieder mit dem Schreiben: Manchmal ist ein Satz da, den ich unbedingt niederschreiben möchte. Ich habe auch Sätze von Bewohner*innen eingebaut. Zum Beispiel sagt Hubert: „Im Prinzip ist alles Schimmel.“ Das war eine Äußerung von jemandem.
Raschner: Sie sammeln also auch Sätze?
Pellini-Forcher: Genau. In der Arbeit muss ich immer einen Zettel dabei haben. Sonst vergesse ich sie wieder.
Raschner: Für eine Literatin ist es doch sicher auch deshalb ein spannender Ort, weil die Bewohnerinnen und Bewohner eine ganz eigene Art haben, sich auszudrücken und die Welt wahrzunehmen?!
Pellini-Forcher: So ist es. Es gelten ganz andere Regeln als außerhalb.

„Ich freue mich darauf, weiterzumachen.“

Raschner: Der Text soll einmal ein Roman werden. Haben Sie bereits weiter geschrieben?
Pellini-Forcher: Ich möchte unbedingt einen Roman daraus machen. Ich denke, es lohnt sich, weil es noch viel zu erzählen gibt. Ich habe schon wieder ein wenig weitergeschrieben und verarbeite auch ein Interview, das ich mit einer polnischen Pflegerin geführt habe. Von ihr möchte ich noch mehr erfahren. Es ist noch nicht sehr viel da, aber ich bin zuversichtlich, dass sich die Geschichte gut weiterentwickeln lässt.
Raschner: Welche Bedeutung hat das literarische Schreiben ganz grundsätzlich in Ihrem Leben?
Pellini-Forcher: Ich habe immer schon gerne geschrieben. Es gehört zu meinem Leben, weil ich dadurch vieles besser verstehe. Schreibend komme ich bei bestimmten Themen in eine Tiefe. Das Leben ist für mich schreibend besser zu erfassen.
Raschner: Die Pflegerin Ewa geht im Text nicht gerade ideal mit Hubert um. Möchten Sie damit auch eine Kritik anbringen, an der Art und Weise, wie die Gesellschaft mit demenzkranken Menschen umgeht?
Pellini-Forcher: Ich möchte damit eher mein Verständnis für Familien ausdrücken, die zuhause rund um die Uhr eine demenzkranke Person betreuen. Das ist sehr herausfordernd und anstrengend! Die Pflegerinnen wiederum kommen aus teilweise ganz anderen Welten und haben ihre eigene Geschichte. Ich habe großen Respekt vor ihrer Tätigkeit. Auch Ewa macht ihre Arbeit mit Herz, sie kann es halt einfach nicht besser. Es ist keine Bewertung, denn jede und jeder hat seine Möglichkeiten. Aber es ergibt sich dadurch ein interessantes Spannungsfeld zwischen Ewa und Linda. Und auch der Tochter, dem Nachtfalter, denn sie ist ebenso gefordert. Im Umgang mit demenzkranken Menschen braucht es wirklich viel Geduld, Kreativität und auch Humor. Manchmal gilt es, lustige Wege zu finden. Deshalb habe ich auch in die Geschichte viel Humor einfließen lassen.
Raschner: Das ist natürlich literarisch ein Balanceakt, der vermutlich nur bewältigt werden kann, wenn man so wie Sie wirkliche Einblicke besitzt. Braucht es Ihrer Meinung nach den Humor bei diesem Thema?
Pellini-Forcher: Ich denke, es braucht den Humor, und ich denke, den brauchen wir überhaupt alle täglich.
Raschner: Inwieweit ist der Vorarlberger Literaturpreis auch ein Motivationsschub für Ihre weitere literarische Arbeit?
Pellini-Forcher: Es ist ein großer Motivationsschub. Der Preis ist für mich schließlich die erste öffentliche Anerkennung. Ich freue mich darauf, weiterzumachen.

Leseprobe um Download (im Kasten rechts): „Am Puls der Zeit“ von Petra Pellini-Forcher.

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