Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Ingrid Bertel · 28. Feb 2013 · Literatur

Eine Art Eigentlichkeit – Bernd Schuchter präsentiert sein Roman-Debüt „Link und Lerke“

Mit dem Roman „Link und Lerke“ präsentiert der Verleger Bernd Schuchter einen eigenen Roman – ein Unterfangen auf dünnem Eis. Denn ein Verleger, der selbst Romane schreibt, setzt sich der Frage aus, ob er dem Vergleich mit „seinen“ AutorInnen standhält. Maßt er sich ein Urteil an, dem er selbst nicht genügt? Benützt er den Verlag als Plattform für sich? Letzteres ist bei Bernd Schuchter auszuschließen. Der Innsbrucker Verleger veröffentlicht sein Debüt „Link und Lerke“ in der Edition Laurin; in seinem Limbus Verlag haben etwa Gabriele Bösch und Hans Platzgumer ihre Heimat.

Bernhard-Ebene

Ariel Link ist Antiquitätenhändler in Zürich. Nach Hohenems reist er, um die Hinterlassenschaft seines Vaters aufzulösen, aber schon die Anreise aus Diepoldsau wird zum literarischen Spiel: „‚Ich fahre quasi in die Gegenrichtung, um mit Bernhard zu sprechen’, sagte Link halblaut und lachte in sich hinein.“ Und wenig später: „‚Wie sagt der Protagonist in ‚Über allen Gipfeln ist Ruh‘, wenn er über sich in Zitaten aus seinen eigenen Büchern spricht, also in die Gegenrichtung, sagt in Holzfällen der Erzähler, sagt Reger, sagt Bernhard, sagt und sagt’, outrierte Link zu sich selbst und leuchtete innerlich ein wenig vor diebischer Freude, den unzähligen Schichten der Bernhard’schen Figuren noch eine weitere, eine Bernhard-Ebene hinzugefügt zu haben.“

Zartgefühl und Ratlosigkeit

Wartet auf uns LeserInnen also eine Bernhard’sche Gestalt? Mitnichten. Link scheint eher ein Faible für Geschichtseinträge zu haben. Er memoriert die Jugenderinnerungen seines Vaters an das Elkanhaus, an die Biografien von Sophie Steingraber oder die Landauer-Wirtinnen. Irritiert liest man diese Erinnerungen als distanziert lexikalische Einträge. Schuchter schreibt auf zwei Ebenen – einer gleichsam wissenschaftlichen, die unzählige biographische Skizzen von Opfern und Tätern des Nationalsozialismus in Hohenems enthält und einer Romanhandlung, die dieses Leben aus zeitlicher Distanz reflektiert. Es zeugt von Zartgefühl, reale Menschen nicht in eine Romanhandlung einzubauen; es zeugt aber auch von Ratlosigkeit gegenüber dem literarischen Verfahren der Fiktion. „‚Eine sterbende Stadt’, dachte er, ‚nein, bereits gestorben.’“

In einer testamentarischen Angelegenheit wird Ariel Link von der Hohenemserin Lerke Lang konsultiert. Ein Schreibtisch, so steht es im Testament ihrer Mutter, solle von Link untersucht werden. Lerke Lang ist eine gebürtige Frau Wolfgang. Die historisch Gebildeten sind angesichts all der jüdischen Biografien längst auf der richtigen Fährte: Der Nazi-Bürgermeister von Hohenems hieß Josef Wolfgang. Ariel Link ahnt trotz seiner Belesenheit und der vielen Erinnerungen seines Vaters seltsamerweise nichts. Er erkundigt sich bei einer Buchhändlerin, ob im Jüdischen Viertel noch Juden leben. „Nein“, meint diese. ‚„Außer vielleicht der Lionsky, der Leiter des Museums. Der ist vielleicht Jude. Klingt zumindest so, finde ich, finden Sie nicht?“’ Es mutet seltsam an in dieser faktensatten Geschichte, wenn ausgerechnet Hanno Loewy einen Roman-Namen bekommt.

Wie arbeitet die Erinnerung?

Link untersucht pflichtgemäß den ominösen Schreibtisch und findet ein Bündel Briefe. Das ändert alles in eine etwas groschenhafte Richtung – denn Link hat sich prompt in Lerke verliebt. Dabei geht es Schuchter eigentlich um eine interessante Frage: Wie arbeitet die Erinnerung? Haben Interesse und Anziehung zwischen Menschen mit diesem verborgenen Strom zu tun? Aber Schuchter setzt nicht seine beiden Protagonisten dieser Frage aus, sondern delegiert sie an Stendhal und an W. G. Sebald, der über Stendhal schreibt. Sein Ariel Link zitiert behende literarische Vorbilder, selbst bleibt er ein Schatten.

Linkisch

Immer wieder taucht in Schuchters Romanfragmenten die Gestalt des Polizeihauptmanns Paul Grüninger auf. Anders als bei Hans Elkan, Sophie Steingraber oder Jeanette Landauer imaginiert Schuchter hier private Szenen; Grüninger raucht zu Hause eine Zigarette, begegnet Flüchtlingen, äußert sich zu politischen Entscheidungen – und empfängt ein Geschenk, „händisch gezeichnete Notenlinien, ein krakeliger Notenschlüssel und viele schwarze Punkte“. Es ist jener „Paul-Grüninger-Marsch“, der im Mai vergangenen Jahres anlässlich der Einweihung der Paul-Grüninger-Brücke zwischen Hohenems und Diepoldsau erstmals erklang. Warum macht Schuchter daraus eine fiktive Szene, wo er doch sonst so skrupulös bei den historischen Fakten bleibt?

Gewiss, Grüninger ist als dramatischer Stoff „entdeckt“ worden. Sein Leben wird gerade als Biopic verfilmt, in der St. Galler Lokremise wird das szenische Dokument „Paul Grüninger – Ein Grenzgänger“ gespielt – Jahrzehnte nachdem Grüningers Tochter Ruth Roduner-Grüninger sich gemeinsam mit dem Historiker und Journalisten Stefan Keller erfolgreich um eine Rehabilitierung des unehrenhaft entlassenen Polizeihauptmanns bemüht hatten. Aber Grüninger als Randfigur in einem Roman? Und warum erfahren wir LeserInnen eines nicht: Ahnt Link etwas von dem, was seinen Autor beschäftigt?

„Wie Weihwasser“

Link besucht das Jüdische Museum in Hohenems. Es ist ein geradezu peinlich religiöses Erweckungserlebnis: „Wie in Watte ging er durch die Ausstellung des Museums und nahm die Biografien und Daten wie Weihwasser in sich auf. Es war, als fließe alles durch ihn hindurch. Link war – er konnte es später nicht anders beschreiben – irgendwie ganz bei sich.“ Er verspürt eine Art Sinn, der seinem Tun ein Ziel geben könnte und nennt das „eine Art Eigentlichkeit“. Das Ergebnis ist intellektuell gesehen nicht eben berauschend: „Er dachte daran, die ehemaligen Wohnräume der jüdischen Einwohner von Hohenems zu rekonstruieren, über ihre Möbel wollte er die Erinnerung an ihre ehemaligen Bewohner wieder lebendig machen.“

Hanno Loewy und Herr Lionsky

Das widerspricht nun zutiefst dem Geist, der dieses Haus seit seiner Gründung geprägt hat. Ein Disneyland der Erinnerung? Niemals haben die Leiter des Jüdischen Museums so etwas angestrebt, ganz im Gegenteil. Und was Hanno Loewy von Schuchters Herrn Lionsky himmelweit unterscheidet, ist die Art, Menschen zu begegnen. Hanno Loewy sieht – und zwar aus vielen guten Gründen – das ehemals jüdische Zentrum von Hohenems als Brennspiegel für Migration und Diaspora. Ein ziemlich besserer Gedanke als die kleine Inzestliebe Schuchters.

Bernd Schuchter, Link und Lerke. Hardcover mit Schutzumschlag, 160 Seiten. Edition Laurin, Innsbruck 2013. 17,90 Euro, ISBN 978-3-902866-07-3