Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Ariane Grabher · 09. Dez 2021 · Literatur

Durchs Feuer und in den Wald - Das Kunst-und-Bau-Projekt an der Paedakoop wurde mit einer Publikation abgeschlossen

Kunst-und-Bau-Projekte hinterlassen in und an den jeweiligen Bauten meist sicht- und greifbare Ergebnisse. Aber stell dir vor, es ist Kunst und Bau und es ist nichts mehr davon zu sehen…? So geschehen in der Paedakoop in Schlins, wo zwischen 2016 und 2020 ein äußerst bemerkenswertes Kunst-und-Bau-Projekt realisiert wurde.

Die Paedakoop, in vielen Vorarlberger Köpfen noch als mit Drohpotential behaftete Erziehungsanstalt „Jagdberg“ präsent, ist heute eine Kooperation von Vorarlberger Kinderdorf und Werk der Frohbotschaft Batschuns und betreibt eine Privatschule, Wohngruppen und die Lebensweltorientierte Betreuung (LOB). Basierend auf Pädagogik und einer kooperativen Grundhaltung (= Paedakoop) folgt man in Schlins einem ganzheitlichen Ansatz, wenn es um die Betreuung und Förderung von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen geht, die aus ihrer Biografie und ihrem familiären Hintergrund heraus eine spezifische Begleitung benötigen.
Als 2015 anlässlich der bevorstehenden Generalsanierung des Verwaltungsbaus die Mitglieder der Kommission für Kunst und Bau die Paedakoop erstmals besuchten, war allen Beteiligten schnell klar, dass die im Rahmen der Richtlinie für Kunst und Bau des Landes Vorarlberg für künstlerische Projekte zur Verfügung gestellte Summe (1% der Nettoerrichtungssumme) nicht in ein oder mehrere fixe, dort verbleibende Kunstwerke investiert werden sollte, sondern vielmehr in die Begegnung von Künstlerinnen und Künstlern und den Mädchen und Buben vor Ort. Auf Empfehlung der Kommission wurde ein mehrjähriges, partizipatives Kunstprojekt mit den unterschiedlichen Ansätzen von sieben Kunstschaffenden und einem Künstlerpaar gefördert, die für jeweils zwei Monate temporäre Ateliers in der Paedakoop bezogen. Ausgewählt aus insgesamt 20 Nominierten, schlugen Maria Jansa, FLATZ, Bele Marx & Gilles Mussard, Ferdinand Ruef, Ilse Aberer, Ingo Giezendanner, Stephen Mathewson und Harald Gfader ihre Ateliers auf Zeit in der Wohngruppe, in einem Raum mit Blick ins Tal, in der Werkstätte, in der Ruine oder im Wald auf, um immer wieder neue Orte der Begegnung, der Präsenz und des Austausches zu schaffen, die von den Kindern und Jugendlichen gern und oft aufgesucht wurden. Die kürzlich erschienene, von Magdalena Türtscher gestaltete Publikation mit Texten von Gabriele Bösch ist dokumentierender Bestandteil und zugleich Abschluss dieses Projekts, das als überaus gelungenes Experiment in Sachen Kunst und Bau bezeichnet werden darf.

Unendlichkeit, schützende Mauern und ein Gefühl von Heimat

Begonnen hat es im Frühjahr 2016 mit der Keramik- und Objektkünstlerin Maria Jansa und mit nichts weniger als der Unendlichkeit. Als Lemniskate, als liegende Acht, hat sie der Unendlichkeit in schleifenförmigen, tönernen Objekten gemeinsam mit den Kindern eine Form verliehen, die weder Anfang noch Ende hat und die Frage danach oder nach der Dauer des Ewigen müßig erscheinen lässt. Wie so oft im Schaffen von Maria Jansa sprach auch in Schlins das Feuer das letzte Wort: Der Feldbrand steht als archaischer Prozess der Transformation im Erglühen und Verlöschen symbolhaft für unser Leben.
FLATZ hat das Thema Haus – Behältnis für Mensch, Tier, Möbel und mehr, sicheres Daheim und Ort der Geborgenheit – bearbeitet. In Modellen und Zeichnungen verfolgte er gemeinsam mit den Schüler:innen die Frage, was und woraus ein Haus sein kann. Für sich hat der Künstler seinen Zufluchtsort über die Kunst und seine Leib und Seele verzehrenden Aktionen hinaus auf dem Dach eines Hochhauses in München gefunden, wo er einen wundersamen Skulpturengarten, luftig in der Höhe und bodenständig zugleich, geschaffen hat.
Alle, die greifbar waren, waren an diesem Tag auf den Beinen: Ein festiver Filmdrehtag, bunt und opulent, in der Burgruine Jagdberg stand am Ende des zweimonatigen Aufenthalts von Bele Marx & Gilles Mussard. Der Titel „heimat – made in schlins“ brachte auf lustvolle und quicklebendige Weise einen Topos ins Spiel, der die Paedakoop-Bewohner ebenso betrifft, wie das international rastlos agierende Künstlerpaar und jeden Einzelnen von uns.

Täglich besetzt, quadratisch-praktisch und Moos statt Asphalt

Eine Reise der etwas anderen Art hat der Zeichner, Keramik- und Konzeptkünstler Ferdinand Ruef täglich unternommen. Sein (Arbeits-)Weg führte ihn wie ein festes Morgen- und Abendritual mit öffentlichen Verkehrsmitteln von seinem Wohnort ins gut 40 Kilometer entfernte Schlins, wo er sein Atelier im Zeichensaal regelmäßig bis 17 Uhr „besetzte“. Begegnungen und Eindrücke von Fahrt und Ort wurden zum Stoff vieler Geschichten, die er in Bild, sprich Zeichnung, und/oder Wort angenehm unprätentiös festhielt. Mit dem auf einem Blatt notierten „Mit Kunst meine ich vielleicht Leben“ leiht er der Publikation ihren Titel.
Eine Form und eine Farbe: Mehr braucht Ilse Aberer nicht. Mit spielerischer Leichtigkeit, selbstauferlegter Reduktion und Konzentration, befasst sie sich mit geometrischen Grundformen, Ordnungsstrukturen und mathematischen Gesetzmäßigkeiten. „Alles Quadrat“ lautete ihre Devise, mit der die Jugendlichen im geduldigen Schleifen, Polieren, Grundieren und Bemalen weit über den begrenzten Rand ihrer quadratisch-praktischen Form hinauswachsen durften.
Asphalt gegen Moos, Hochhäuser gegen Bäume: Ingo Giezendanner hat den Großstadtdschungel, durch den er sich normalerweise zeichnend bewegt, gegen den Wald eingetauscht. Seine Freude am Schauen, Wahrnehmen und zu Papier bringen mit einem Tuschestift und dem Verzicht auf Farbe, hat der Schweizer Künstler mit der Vorliebe für handgebundene Hefte auf die Kids der Paedakoop Baum für Baum, Ast für Ast, Tannennadel für Tannennadel übertragen.

„Birdman“, Spurentreue und starke Nachklänge

Graphit und Rock’n’Roll, vor allem aber sein Konzept der „Stillen Stunde“ hat Stephen Mathewson bei seinem Aufenthalt praktiziert. Der Künstler und Musiker mit der Vorliebe für Gitarrenrock und Eishockey hat Zeichen-Sessions angeboten, bei denen die Kinder ohne Anleitung, Vorgaben oder Druck mit ihm zusammen zeichneten. Ausgehend von einem zufällig hinterlassenen Fußabdruck auf Papier widmete er sich mit den Kids der Technik der Frottage und gemeinsam wurde aus Erzählungen und figurativen Motiven die Figur des „Birdman“ entwickelt.
Mit allem, was wir tun, hinterlassen wir Spuren. Gleichzeitig schreibt sich das Erlebte und Gesehene als Spur in uns ein: So begab sich Harald Gfader zum Abschluss des Projekts auf eine malerische Spurensuche mit den Jugendlichen. „Der Zufall ist eine Spur, nimm ihn auf, gestalte neue Wege damit. Arbeite mit dem, was die Welt dir bietet, und viel Kampf fällt weg“, schreibt Gabriele Bösch.
Dass außer der Publikation nichts geblieben ist von den acht Ateliers, stimmt so freilich nicht ganz. Wenn auch nichts Materielles, Handfestes vorhanden ist, so klingt doch noch der Spirit des Projekts stark im Haus nach, als Erinnerung an Zeiten, wo noch mehr als sonst auf das Vertrauen in die eigene Stärke und individuelle Fähigkeiten gesetzt wurde.
 

Die Publikation war Teil des Projekts und ist leider nicht im Buchhandel erhältlich.
https://www.paedakoop.at/kunstbau/