Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Raffaela Rudigier · 01. Aug 2011 · Literatur

Die Freunde von der Amphetaminfront – Christian Mährs neuer Roman „Das unsagbar Gute“

Es ist wie im ganz normalen Leben: eine alte Frau steht auf einen Tisch um eine Glühbirne zu wechseln, fällt dabei herunter, bricht sich das Genick und ist tot. So etwas kommt vor. Was dann allerdings folgt, ist nicht mehr ganz so „normal“: es stellt sich heraus, dass eben diese alte Frau – Frau Leupold – ihres Zeichens pensionierte Chemielehrerin – im Keller ihrer geerbten Villa im beschaulichen Städtchen Dornbirn ein kleines ertragreiches Drogenlabor eingerichtet hat.

Von Toten in Kühltruhen

Was sie dort erzeugte, brachte ihr Künstlerenkel Manfredo Gonzales Leupold in Wien wiederum in Umlauf. Mit dem Unfalltod der Großmutter scheint also auch dessen zuverlässige Geldquelle zu versiegen. Doch dann kommt Manfredo auf die brillante Idee, den arbeitslosen Chemiker Dr. Romuald Nowak zu engagieren und mit ihm die Arbeit fortzusetzen. Die tote Oma wird währenddessen in der Tiefkühltruhe verstaut – man will ja schließlich keine Polizei in einem Haus mit Drogenlabor im Keller. Probleme sind vorprogrammiert: zu der Toten in der Kühltruhe gesellt sich bald ein anderer dazu, es muss noch eine Kühltruhe gekauft werden, eine große Geldsumme wird gestohlen, Leute werden erpresst, die Wiener Unterwelt mischt sich ein, Profis und Amateuere geraten einander ins Visier.

Chemie im Alltag

Wie praktisch dabei gewisse naturwissenschaftliche Kenntnisse (etwa in fortgeschrittener Chemie) sind, zeigt sich in vielen verschiedenen Situationen: ob es um das unauffällige Beseitigen unliebsamer Menschen, das Heilen von schweren Krankheiten oder um Läuterungsanfälle nach Drogenkonsum geht – für einen Chemielaien sind die kurzweiligen Erklärungen durchaus nachvollziehbar, klingen plausibel und bringen ernsthaft ins Grübeln.

Katzenuniversum

Über weite Strecken wird die Welt des Buches über das Universum von Katzen und Katzenliebhabern (wie auch Katzenhassern) erklärt. Kater Sami und dessen Erzfeind, der Kater mit dem „grenzdebilen“ Namen Schnurrli, spielen eine nicht ganz unwesentliche Rolle in den Verstrickungen von Zufällen, Unfällen und Verbrechen und ziehen sich wie ein roter Faden durch die Erzählung.

Die Freunde von der Amphetaminfront

Besonders Christian Mährs Sprache und sein ironisch-sarkastischer Ton machen „Das unsagbar Gute“ zu einem wahren Lesevergnügen: da wird die Tiefkühltruhe, in der die Leiche der Frau Leupold liegt, zu deren „angestammten Tiefkühldomizil“, die Drogenhersteller werden zu den „Freunden von der Amphetaminfront“ die „seit vielen Jahren erfolgreich im Amphetamingeschäft“ tätig sind und der Chefredakteuer eines Vorarlberger Anzeigenblattes ist „blöd wie die Nacht dunkel“.

„Husch! Man glaubt es kaum ...“

Sehr witzig sind auch die vielerorts angestellten Sprachbeobachtungen des Autors: „Dr. Nowak war kurz vor einem Panikanfall und versuchte mit ‚Weg!’ und ‚Raus!’ und ‚Geh!’ und ach ja, mit ‚Husch!’ (Husch! Man glaubt es kaum...) – versuchte also den Kater mit diesen inferioren, eines Akademikers unwürdigen Lautäußerungen, begleitet von Armgefuchtel, zu vertreiben.“ Oder an anderer Stelle: „Natürlich fiel jedem Chemiker und Pharmakologen bei diesem Thema der gute Albert Hoffmann ein, der im Jahre 1943 nach einem Selbstversuch mit dem von ihm synthetisierten LSD zwei Tage total high rumgelaufen oder –gefahren war. Mit dem Fahrrad. Abgefahren im Wortsinn.“

Man hört den Protagonisten in Christian Mährs Buch förmlich beim Denken zu, der Rest besteht großteils aus wörtlicher Rede, was die Handlung rasant wirken lässt und den Leser unweigerlich hineinzieht.

Bünzlihausen und der provinzielle Snobismus

Wie schon bei Mährs letztem Buch werden auch in diesem Roman wieder mit großem Vergnügen kleine erfrischende Seitenhiebe auf Vorarlberg und die hier herrschende Mentalität ausgeteilt: „Schotts Hecke blieb ein Ärgernis über den Tod des Vaters hinaus, Schott Sohn dachte nicht daran, am Garten etwas zu verändern, um es etwa den Bünzlis der Umgebung recht zu machen, verwendete den satirischen Begriff, mit dem die nahen Schweizer ihre eigenen Spießbürger verunglimpften, für die Mitsiedler, nannte die Siedlung in Gesprächen mit Kollegen nie anders als ‚Bünzlihausen’.“

Witzig auch der Blick eines Großstädters Richtung Westen: „Die kamen sich alle wahnsinnig gut vor, die Leute aus der Provinz. Die nämlich, die dort geblieben waren, weil sie entweder zu feige oder zu unfähig waren, sich am einzigen Ort durchzusetzen, der wirklich zählte, in der Hauptstadt. Aber das konnten sie natürlich nicht zugeben, ihr ganzes Leben lang nicht, und kultivierten eben provinziellen Snobismus mit entsprechendem Überlegenheitsgefühl, das so stark sein konnte, dass der Sinn für Realitäten davor dahinschwand.“

Fazit

Christian Mährs neuer Roman „Das unsagbar Gute“ ist ein eigenständiges, humorvolles und spannendes Buch mit einer originellen Handlung, einem unerwarteten Schluss, viel Sprachwitz und Ironie. Raffaela Rudigier

 

Christian Mähr, Das unsagbar Gute, Deuticke Verlag, Wien 2011, 320 Seiten, ISBN 978-3-552-06170-5, 18,40 €