Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Karin Jenny · 11. Jän 2012 · Literatur

Der Datendieb – Oder warum der Datenklau überhaupt möglich war

Bereits der Film der beiden Autoren und Filmemacher Sigvard Wohlwend und Sebastian Frommelt schlug in Liechtenstein wie eine Bombe ein. Das soeben erschienene Buch „Der Datendieb“ von Sigvard Wohlwend übertrifft den Film jedoch um vieles.

Detailreich schildert Wohlwend die Geschichte Heinrich Kiebers in lakonischen Grautönen. Und scheinbar nebenbei gewinnt man einen Blick auf die Zusammenhänge fürstlicher Machtspiele, auf Finanzplatzkrise und Stillhalteabkommen. Eines ist im deutschsprachigen Raum hinlänglich bekannt: Da war einer namens Kieber, der als ehemaliger Angestellter der LGT Treuhand, die im Besitz des Fürsten war, Daten geklaut, verkauft und eine Menge Geld damit gemacht hat. Deutschland freute sich, Liechtensteins Politiker waren not amused, und das Fürstenhaus wurde nicht müde, die Formel der Notwendigkeit von Steueroasen zu beschwören und Deutschland der Hehlerei zu bezichtigen. Das war im Jahr 2002.

Bis ins letzte Detail recherchiert

Es dauerte allerdings Jahre, bis Kieber die Finanzpraktiken Liechtensteins hochgehen ließ, und seither gibt es von links nach rechts nur noch Verfechter eines sauberen Finanzplatzes, an dem Schwarzgeld keine Unterkunft mehr findet. Wie aber war der Datenklau möglich? Wie konnte ein vergleichsweise kleiner Angestellter einen solchen Coup landen? Einer, der bereits vor seiner Anstellung bei der LGT Treuhand soviel Dreck am Stecken hatte, dass er theoretisch nicht einmal mehr als Briefbote in Frage kommen konnte. Wohlwend ist ein bis ins letzte Detail recherchierte Buch gelungen. Der Autor informiert auf spannende Art, stellt Zusammenhänge her und macht dadurch vieles transparent. Vieles, was ein Film zwangsläufig nicht leisten kann.

Die Rolle des Staatsoberhaupts und Besitzers der LGT

Kieber, der Gauner auf der ewigen Flucht. Darin ist man sich schnell einig. Vordergründig beschreibt Wohlwend wohl den Lebensweg eines intelligenten Gauners. Diese Geschichte könnte beliebig sein, wenn nicht das Umfeld wäre, das diese Geschichte erst möglich machte. Und das ist das eigentliche Spannende an Wohlwends Buch. Schon im Film wurde die Rolle des Fürsten Hans Adam II. angedeutet, stark genug, um erwarten zu können, dass es Reaktionen geben würde. Nichts dergleichen geschah. Das Buch aber macht klar, dass Kieber den Datendeal nicht ohne kräftige Unterstützung des Fürstenhauses hätte durchziehen können.
2002 war das Vorhaben Kiebers in der Pipeline, der Fürst war darüber informiert, das Fürstenhaus steckte mitten in den Vorbereitungen seiner Volksinitiative zur Verfassung, die ihm ungleich mehr Rechte sichern sollte als jene aus dem Jahr 1929; aber nichts von dem drohenden Erdbeben für den Finanzplatz drang damals an die Öffentlichkeit. Das Datendesaster der LGT Treuhand wäre wohl kaum mit den Verfassungswünschen des Fürsten kompatibel gewesen – zumindest hätte ein ausgewachsener Finanzskandal vom fürstlichen Thema abgelenkt und die Legende, dass das Fürstenhaus die Quelle allen Wohlstands in Liechtenstein sei, entzaubert.

Aufarbeitung eines historisch wichtigen Abschnitts

Mit dem Buch hat der Autor etwas sehr Wichtiges gemacht: Er hat eine historisch entscheidende Phase Liechtensteins aufgearbeitet, was bis anhin fast schon krampfhaft vermieden wurde. Wenn auch vordergründig Kieber der „Hauptdarsteller“ des Doku-Krimis ist, so leuchtet Wohlwend das Umfeld, in dem der Datenklau in dieser Dimension überhaupt erst möglich war, so aus, dass man auch selbst Zusammenhänge herstellen kann. Die zeitliche Nähe zur politischen Agenda des Fürsten bzw. die Verschleierung des sich anbahnenden Datendesasters sind nur ein Hinweis darauf, welche Motivlage dem Ganzen zugrunde lag.

Ein Deal, der in die Wirtschaftsgeschichte eingehen wird

Wohlwend klagt nicht an, verurteilt nicht, sondern bedient sich einer lakonisch beschreibenden Sprache. Er zieht lediglich dort Schlussfolgerungen, wo es sich nicht vermeiden lässt. „Der Datendieb“ ist fast schon Pflichtlektüre für alle, die in irgendeiner Form mit Liechtenstein verbandelt sind – denn bei keinem Thema gab es bisher so viele Meinungen, so viele Spekulationen und so viel Unklarheit über die Hintergründe eines Deals, der wohl in die Wirtschaftsgeschichte eingehen wird. Denn seit dem Datenklau ist nichts mehr, wie es vorher war – nicht nur in Liechtenstein. Auch wenn die Gleichzeitigkeit des Datenklaus und internationale Forderungen, Steueroasen auszutrocknen, zufällig scheinen, so war Kieber doch so etwas wie ein Brandbeschleuniger. Wohlwends fein gestricktes Informantennetz führte ihn in neun Länder, und auf der Suche nach Fakten und Geschichten rund um Kieber begegnete er vielen, die ihn kannten, den umtriebigen, nervösen und plappernden Kieber – nur ihm selbst begegnete er nie. Dennoch ist Kieber kein Phantom, dafür stützt sich Wohlwends Buch auf zu viele recherchierte Fakten.

Mangelnde Gewaltentrennung im Fürstentum

Nachdem der Film viel Erfolg verbuchte, versuchte Kieber mit einem 600-seitigen Pamphlet und einem Exklusiv-Interview im „Stern“ die Deutungshoheit zurückzugewinnen. Vergeblich, Kieber deutet zwangsläufig vieles zu seinen Gunsten um; etwas, was Wohlwend nicht zu tun braucht. Nicht einmal die Rolle des Fürstenhauses und der Politiker muss Wohlwend plakativ vorführen. Mangelnde Gewaltentrennung war der fruchtbare Boden, auf dem Kieber sich sicher bewegen konnte – das Ergebnis kennen wir. Eines davon ist der Leumund Kiebers, der besser nicht sein könnte. Einer ursprünglichen Verurteilung von vier Jahren unbedingt, wegen der in Australien bzw. Spanien begangenen Delikte, begegnete Kieber mit der Forderung, diese Strafe gefälligst umzuwandeln, weil sonst die brisanten Daten ihre Adressaten finden würden. Hans Adam II. holte zur Justizschelte aus und schon wurde aus der vierjährigen Verurteilung eine einjährige auf Bewährung. Schließlich folgte noch die Begnadigung des Fürsten, der damit wohl hoffte, einen unaufgeregten Kieber besser handlen zu können.

Naivität oder Berechnung?

Doch Kieber wäre nicht Kieber, hätte er nicht Kopien von der Kopie gemacht und am Ende alle über den Tisch gezogen, die ihm glaubten. Der vom Fürsten hinzugezogene Profiler Thomas Müller attestierte, dass von Kieber keine Gefahr mehr ausgehe, wenn er die CD zurückgegeben habe. Sowohl der Profiler Thomas Müller als auch der Anwalt Kiebers agierten auf Kosten des Fürsten. Großzügig übernahm das Fürstenhaus die Honorare beider Müllers. Offenbar kam niemandem die Idee, dass Kieber Kopien anfertigen konnte – schon allein, um seine Interessen über den Tag hinaus zu retten.
Da half es nichts, dass der Fürst persönlich Kieber in einem laufenden Verfahren ein Jahr lang eine Wohnung und das nötige Kleingeld zur Verfügung stellte, nur damit dieser stillhielt. Sigvard Wohlwend ist mit diesem Buch ein toller Wurf gelungen, spannend wie ein Krimi zu lesen und verlässlich in seiner Faktizität. Reflexartiges Abwehrverhalten und Schönreden wird nicht davor schützen, dass da einiges faul ist im Staate Liechtenstein – auch wenn die Fahne eines sauberen Finanzplatzes mittlerweile hoch gehalten wird.

 

Sigvard Wohlwend: 1966 geboren, schloss er 1993 die Journalistenschule St. Gallen ab und ist seither als freier Journalist tätig. Von 1995 bis 2001 arbeitete er als Wirtschafts- und Liechtenstein-Korrespondent für das Schweizer Radio. Er publizierte regelmäßig in führenden Schweizer Printmedien wie Tages-Anzeiger, Handelszeitung und NZZ am Sonntag. Gemeinsam mit Sebastian Frommelt realisierte er die Dokumentarfilme „Kicken für die Krone“ (2008) und „Heinrich Kieber – Datendieb“ (2010).

 

Sigvard Wohlwend, Der Datendieb, Rotbuch Verlag Berlin 2011, ISBN 978-3-86789-145-5