Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Anita Grüneis · 10. Apr 2013 · Literatur

Das erste „Historische Lexikon des Fürstentums Liechtenstein“ – Ein epochales Werk zum Schmökern und Lesen

Was den Briten die „Encyclopædia Britannica“ und den Deutschen der „Brockhaus“, das ist den Liechtensteinern das „Historische Lexikon des Fürstentums Liechtenstein“. Im Februar dieses Jahres erschienen, ist das Mammutwerk in 2 Bänden nicht nur fast 6 Kilogramm schwer, es ist auch inhaltlich ein absolutes Schwergewicht. Rund 2600 Artikel, 510 Fotos und über 200 Tabellen, Grafiken, Stammtafeln und Karten geben der Geschichte Liechtensteins ein Gesicht. Selbstverständlich wird dabei auch die Region berücksichtigt.

Von A bis Z enthält dieses Lexikon alles, was man schon immer über Liechtenstein wissen wollte und weit mehr. Es ist ein Nachschlagewerk und ein Schmökerbuch, denn vieles, was es enthält, ist so bisher noch nirgends publiziert worden. Unter der Leitung der Redaktion von Arthur Brunhart, Landtagspräsident der letzten vier Jahre, haben zahlreiche Autoren, Berater, Institutionen, Illustratoren, Kartographen, Lektoren und Grafiker daran gearbeitet. Brunhart gilt auch als „Vater“ dieses Werks, immerhin hat er das Projekt vor 25 Jahren mit initiiert und bis zur Fertigstellung geleitet. Zunächst sollte es im Jahr 2006 fertig sein. So hieß es seitens der damaligen Regierungsrätin Andrea Willi: „Im Lichte der 200 Jahr-Feier der Souveränität Liechtensteins, die im Jahre 2006 begangen werden kann, stellt die Herausgabe des Nachschlagewerkes ein außergewöhnliches Geschenk an die Einwohnerinnen und Einwohner Liechtensteins dar."

Kosten und Bücher

Aus dem Geschenk wurde nichts. Nicht nur weil die Arbeiten viel aufwändiger waren als gedacht, auch die Finanzen hatten nicht gereicht. Insgesamt verschlang das Werk zwei Kredite in Höhe von 4,7 Millionen Franken. Damit hat die Redaktion nicht nur das Lexikon geschaffen, sondern auch weitere Publikationen wie etwa die drei Bände „Bausteine zur Geschichte Liechtensteins“. Zudem wurden mehrere Seminare zur Geschichte Liechtensteins an den Universitäten Fribourg, Zürich, Salzburg und Innsbruck durchgeführt.

Amüsantes und Wissenswertes

Die Millionen sind gut investiert. Das Lexikon ist mehr wert als diese Summe. Denn ob Themen aus der Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Kirche oder dem Staat ganz allgemein – es gibt nichts, was nicht aufgegriffen worden wäre. Darunter sind auch durchaus amüsante Beiträge. Wer weiß schon, was in Liechtenstein eine „Eiserne Kuh“ bedeutet oder was es mit dem Trattrecht auf sich hat? Und dass Liechtenstein und die Schweiz mit 5 Fähren verbunden waren, die erst 1867 durch hölzerne Brücken ersetzt wurden? Ein viel weiterer Blick zurück wird mit einer Grafik gewagt, die aufzeigt, wie das Rheintal vor etwa 17.000 Jahren ausgesehen hat – damals gab es noch den Rheintalsee, der gemeinsam mit dem Walensee vom Rheingletscher gespeist wurde. Der Seespiegel betrug 400 Meter ü.M.

Österreich und die Bildung

Für Österreicher könnte auch die differenzierte Beschreibung der Beziehungen zwischen Liechtenstein, dem Staat Österreich und natürlich speziell dem Land Vorarlberg interessant sein. Dabei wird klar, dass vor allem Feldkirch mit dem 1649 gegründeten Jesuitengymnasium für Liechtenstein eine wichtige Bildungsstätte war. Viele Liechtensteiner Beamte, Lehrer, Ärzte und Geistliche stammen denn auch aus Vorarlberg. So heißt es im Historischen Lexikon des Fürstentum Liechtensteins: „Noch 1920-21 war der gebürtige Tiroler und ehemalige Feldkircher Bürgermeister Josef Peer Liechtensteiner Landesverweser.“ Viele Jahre davor wirkte schon der 1528 gestorbene Feldkircher Humanist, Stadtarzt und Apotheker Georg Iserin in Liechtenstein. Die Beziehungen im Gesundheitswesen dauern übrigens bis heute an, so gibt es zwischen dem Landeskrankenhaus und dem Fürstentum Liechtenstein seit 1987 eine vertragliche Bindung.

Der Adel und die Reichen

In diesem Lexikon sind nicht nur historische Geschehnisse und Denkmäler beschrieben. Es ist insgesamt in 5 Artikelkategorien gegliedert: der geografische Raum, die Landesherrschaften, die Familien, Einzelpersonen und verschiedene Sachbereiche. Selbstverständlich kommt auch der Adel nicht zu kurz. So sind die Grafen von Werdenberg-Sargans zu Vaduz, die Freiherren von Brandis, die Grafen von Sulz, von Hohenems und die Fürsten von Liechtenstein mit ihren Familiengeschichten beschrieben. Eine sehr gut gestaltete Grafik zeigt beispielsweise die Gebiete der Grafen von Sulz, die sich vom Klettgau bis Blumenegg erstreckten. Es zeigt aber auch, wie schwierig das Verwalten dieses Landbesitzes gewesen sein musste, mit all den Eidgenossen und den Habsburgern dazwischen.

Die Römer und ihre Funde

Wer aber kennt heute noch die Hunfridinger, die Udalrichinger oder die Burchardinger? Hingegen hinterließ der römische Legionär Cavidius Felix P. nicht nur seinen Namen in Liechtenstein. Cavidius’ Name ist auf einem der beiden römischen Helme eingepunzt, die in Schaan entdeckt wurden. Und von Balzers kennt man den ersten Bewohner, auch er war ein Römer. Von Silvinus wurde ein Teller mit dem graffito „Silvini“ (ich gehöre dem Silvinus) gefunden. Vermutlich hat Silvinus Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. dort gewohnt, entdeckt wurde das Stück aber erst 1995 bei einer Grabung.

Waffen und Handel

Auch die jüngere Geschichte ist interessant. So wird der Erbauer der Villa Stein-Egerta beschrieben, in der heute die Erwachsenenbildung untergebracht ist. Der Waffenhändler Rudolf Ruscheweyh hat sich dieses Schaaner Domizil in den Jahren 1942/43 geschaffen. Die Waffen-Geschäfte mit dem NS-Regime verhalfen ihm zu großem Reichtum, zudem hatte er sich 1944 mit einem Liechtensteiner Diplomatenpass nach Liechtenstein abgesetzt. Natürlich waren davor auch seine Millionen ins Land gekommen. Nach dem Krieg stritt Ruscheweyh mit Emil Bührle und den Schweizer Behörden um die Restzahlung der Provisionen aus Waffengeschäften mit dem Dritten Reich.

Waldhotel und Schwimmbad

Eine andere Villa wurde für Emanuel Epstein aus Prag in Vaduz gebaut; oder besser ein Hotel. Oberhalb des Vaduzer Villenviertels entstand 1931 das Waldhotel „Liechtensteiner Hof“ mit Schwimmbad und Casino. Zwei Jahre später wurde es an den Baumeister Ludwig Ospelt und den Schlossermeister Gustav Ospelt versteigert. Hotelumbauten und –erweiterungen ließen das Haus immer neu erstrahlen, bis es 1974 abgebrochen wurde – zum Leidwesen vieler Einheimischer, die den Biergarten des Waldhotels vor allem in der Sommerzeit sehr schätzten – auch das Schwimmbad konnte damals benutzt werden.

Von A bis Z

Das Historische Lexikon beginnt mit Abegg und endet mit Zwing und Bann. Bernhard Abegg war 1692 Landschreiber und von 1695 bis 1697 Landvogt zu Vaduz. Er heiratete Maria Helene von Holzingen und ließ am 10. Dezember 1686 in Schaan eine Tochter auf den Namen Maria Anna taufen, wobei Graf Jakob Hannibal III von Hohenems Pate war. Ob das alles mit Zwing und Bann geschehen ist? Diese Paarformel war im späten Mittelalter gang und gäbe. Sie bezeichnet das Recht eines Grundherrn, Gebote und Verbote zu erlassen. Dies betraf die Nutzung von Flur und Weide, Wald und Mühlen.

Das Historische Lexikon des Fürstentums Liechenstein muss in jedem Liechtensteiner Haushalt stehen. Es ist ein Schatz, der historisches und aktuelles Wissen bündelt, in dem man gerne blättert, weil es anschaulich und abwechslungsreich gestaltet ist. Fragt sich nur, wann der dritte Band erscheinen wird. Das Tempo der Veränderung ist groß, auch in Liechtenstein.

Redaktion Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, Projektleiter Arthur Brunhart (Hg.), Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, 1142 S., 510 Abb., 2 Bände, CHF 198/EUR 165, ISBN 978-3-0340-1116-7, Chronos Verlag, 2013