Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Ingrid Bertel · 27. Feb 2019 · Literatur

The Fool on the Hill - Armin Thurnhers Neuerscheinung über sein Jahr in Amerika

In „Fähre nach Manhattan“ erzählt der Gründer und Chefredakteur des „Falter“, Armin Thurnher, davon, wie er als Bregenzer Maturant auszog, New York kennenzulernen und in der 68er-Revolte landete.

„Amerika gibt es nicht“ – diesen Titel trug 1969 eine wunderbare Kindergeschichte von Peter Bichsel. „Und wenn zwei sich von Amerika erzählen“, heißt es darin, „blinzeln sie sich heute noch zu, und sie sagen fast nie Amerika, sie sagen meistens etwas Undeutliches von ‚Staaten‘ oder ‚Drüben‘ oder so.“ Schnörkelloser und poetischer zugleich kann man den amerikanischen Traum nicht darstellen. Armin Thurnher will von diesem Traum 2019 noch einmal erzählen. Er erinnert sich an ein Jahr der gesellschaftlichen Umbrüche, das Jahr 1967, das er als Stipendiat am Wagner College in New York verbrachte, aber leider ist seine Erzählung weder poetisch noch schnörkellos.

Coming-of-Age

„Am Bodensee blühten die Kirschbäume. Weiß schwebten die Obstbaumkronen über dem azurblauen Wasser, da und dort durchstochen von den Zwiebeltürmchen weißer Barockkirchen.“ Mit dieser brachialen Rosamunde-Pilcher-Szenerie eröffnet Thurnher seine seltsam zwiespältige Coming-of-Age-Geschichte. Ein katholischer Maturant aus Bregenz, passabler Fußballer und halbwegs versierter Klavierspieler zieht frohgemut los ins Land der Verheißungen, modisch gekleidet in einen braunen Schnürlsamtanzug. Als erstes trifft er auf eine Gruppe von Football-Spielern. „Trolle“ nennt er sie. Aber warum jetzt Netzjargon? Wer erzählt hier? Ist es der honorige Professor, der mit geschultem Soziologenblick berichtet, wie Vietnamkrieg und Folksongs, Malcom X und Hippie-Träume eine Gesellschaft veränderten? Ist es der Journalist, der sich an Jugendfreuden erinnert? Literatur ist es jedenfalls nicht, was Armin Thurnher mit „Fähre nach Manhattan“ vorlegt, denn ein Romanautor würde sich auf die offenen Augen, die wachen Sinne des jugendlichen Stipendiaten einlassen und wäre nicht klüger als sein Held.

Vage Empörung, wankendes Weltbild

Jedem Kapitel stellt Thurnher ein paar News voran, Meldungen aus dem „Time Magazine“ oder der „Village Voice“, der Campus-Zeitung „Wagnerian“ und den „VN“, deren Abonnement der brave Vorarlberger auch im großen New York nicht aufgibt. Thurnher verlässt sich auf sein journalistisches Können. Die Nachrichten schlagen Pfosten ein für das ins Wanken geratende Weltbild seines Protagonisten. „In Wahrheit will ich Zeit. In Wahrheit rebelliere ich gegen die Idee eines Lebensplans. In Wahrheit misstraue ich dem Erfolgsmodell, das ich erfolgreich mime“, schreibt er. Das Neue betäubt ihn, ein erster Ausflug mit der Fähre nach Manhattan löst Angst und Schrecken aus: „Ein Gemisch aus Schweinerei und Gewalt, Perversion und Macht, Geschwindigkeit und Rücksichtslosigkeit, Zeitgenossenschaft und trotz drängender Theater- und Kinowerbung keine Spur von dem, was ich Kultur nennen würde.“
Die Arroganz des Europäers erfährt einen empfindlichen Dämpfer, als ihn der Dekan zum Vorstellungsgespräch bittet, denn Mr. Stern ist ein aus Nazideutschland geflohener jüdischer Wissenschaftler. „Mir sind solche Fragen nie in den Sinn gekommen; Judenverfolgung, Emigration und jüdisches Leben waren weder in der Schule noch zuhause ein Thema.“
Kein Thema war zuhause auch der Vietnamkrieg, „ein kleiner Kolonialkrieg“ sei das, argumentiert der Ich-Erzähler im Gespräch mit seinem Zimmerkollegen Bruce. Der weiß es besser, der nimmt an den Demonstrationen gegen diesen Krieg teil und ist das lebendige Beispiel für die tiefgreifenden Veränderungen der amerikanischen Gesellschaft.

„Hey, hey, LBJ, how many kids did you kill today?“

Lyndon B. Johnson habe als Politiker „gut angefangen“, erklärt Bruce. Er hat den „Voting Rights Act“ unterschrieben, der Afroamerikanern das Wahlrecht garantierte. Seine Sozialmaßnahmen brachten medizinische Versorgung für Arme. Dann aber änderte der Krieg in Vietnam alles. „Einen gerechten Krieg führen die USA dort nicht, das ist mir jetzt klar“, erkennt Armin. „In gewisser Weise sitze ich in der Klemme meines Weltbilds. Mir geht es wie LBJ: Gebe ich zu, dass ich nicht recht habe, bröckelt dieses Weltbild, und ich kann die Konsequenzen nicht absehen.“
Armin geht lieber Fußball spielen als zum Friedensmarsch. Armin hört einem Dozenten zu, der von Gerard Malanga erzählt, einem „Wagnerian“, der zu Andy Warhols Silver Factory wechselte. Armin hört Brooke zu, die von Debatten in Hannah Arendts Gesprächszirkel erzählt. Armin sitzt in Unterhosen wie die anderen Studenten auf dem Bett und hört sich Songs von Bob Dylan, Woody Guthrie, Bob Dylan, Joan Baez an – „Folkmusik heißt Protest... Sogar im warmen Zimmer inmitten halbnackter Knaben rieselt es einem über den Rücken, ergreift einen eine vage Empörung, wird einem die linke Tradition dahinter bewusst…“
Armin ist nie mitten drin. Er steht beobachtend daneben, registriert seine eigene Unsicherheit, bleibt bei seiner Vorarlberger Vorsicht und Sparsamkeit. „Thelonious Monk? Miles Davies? Jimi Hendrix? The Doors? Janis? Ich bin nicht dabei und doch in der Nähe. Das kostet am wenigsten.“ Sein Englisch wird besser, sein Sprachbewusstsein schärfer, und er entdeckt seine eigentliche Begabung: das Schreiben. Im Überschwang notiert er auf der Innenseite eines Gedichtbands die Idee für eine eigene Kurzgeschichte „über ein Ghettokind, das sich mit acht Jahren den goldenen Schuss setzt“.
Es macht den Charme von Thurnhers Erzählung aus, dass er derartige Peinlichkeiten im lakonischen Parlando einstreut. Wie die Weltanschauung seines jugendlichen Helden sich allmählich ändert, davon berichtet er mit einer geradezu umwerfenden Ehrlichkeit und einem Beatles-Titel: „The Fool on the Hill“ – „irgendwie komme auch ich mir so vor.“ (S. 205)

Buchpräsentation:
28.2., 20 Uhr, Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek, Bregenz