Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Annette Raschner · 06. Mär 2019 · Literatur

Eine stille Heldin - Neuerscheinung von Eva Schmidt

Es war eine große, eine schöne Überraschung, als sich Eva Schmidt vor drei Jahren mit „Ein langes Jahr“ – einer Sammlung lose verschränkter Prosaminiaturen – nach zwanzig Jahren Literaturpause zurückgemeldet hatte. Das Buch schaffte es auf Anhieb auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises (den gewann schließlich Bodo Kirchhoff für seinen Roman „Widerfahrnis“). Nun ist mit „Die untalentierte Lügnerin“ ein neuer Roman der Bregenzer Autorin im Jung und Jung Verlag erschienen.

„Maren hörte zu. Manchmal hatte sie das Gefühl, nur noch als Zuhörerin zu existieren. Es war nicht unangenehm, entfernte sie nur von sich selbst, wenn sie sich in andere hineinversetzte, sich vorstellte, ihre Geschichten würden sie betreffen.“
Maren ist eine introvertierte Protagonistin, und sie ist eine unter depressiven Verstimmungen leidende Einzelgängerin, die nicht so recht weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Sie besucht eine private Schauspielschule in München, bricht diese aber aufgrund einer akuten Essstörung ab. Ein halbes Jahr bringt sie auf einer Therapiestation (nach dem Vorbild „Carina“) zu, um als geheilt entlassen zu werden. Unschlüssig darüber, wie es weitergehen soll, zieht sie wieder in jenes Haus in Bregenz, in dem noch ihre Mutter Vera und ihr Stiefvater Robert wohnen, nachdem die beiden Halbbrüder Igor und Ruben ausgezogen sind. Die Beziehung zur Mutter, einer egozentrischen Malerin und Galeristin, ist schwer gestört, harmonischer ist hingegen das Verhältnis zu Stiefvater Robert, einem wohlhabenden, kunstaffinen Unternehmer, der sie, als sie ein Mädchen war, adoptiert hat. „Robert war über fünfzig, sah aber wesentlich jünger aus. Als Kind hatte sie ihn gehasst, sie hatte ihm die Schuld daran gegeben, dass sich ihre Eltern getrennt hatten. Erst viel später hatte sie erfahren, dass Vera ihren Vater mit Robert betrogen und diesem anfangs sogar verschwiegen hatte, dass sie verheiratet war.“ Als die Konflikte zwischen Maren und ihrer Mutter immer heftiger ausfallen, überlässt ihr Robert seine Wohnung, die er vor Jahren heimlich gekauft hat, um sich gewisse Auszeiten – auch mit anderen Frauen – zu gönnen. Er besucht Maren häufiger, als ihr lieb ist und weiht sie in seine Sehnsüchte, auszusteigen und wegzugehen, ein. „Sie hatte sich gefragt, ob sie das, was er ihr erzählte, überhaupt wissen wollte. Die Geheimnisse, die er ihr anvertraute. Ob sie die Vertrautheit, die seit ihrer Rückkehr aus der Klinik wieder zwischen ihnen entstanden war, überhaupt wollte. Sie war misstrauisch.“

Inzestuöses Verhältnis?

Maren ist misstrauisch, und als Leserin ist man es auch! Wenn Robert sie besucht, bringt er Pralinen und Champagner mit. Im Auto legt er ihr einmal eine Hand auf ihr Knie, er umarmt sie stets eine Spur zu lange, und dann gibt es da auch noch diese Geschichte, die Maren über eine junge Frau namens Ellen zu schreiben beginnt, die nach Finnland reist und ein Kind abtreibt, dessen Vaterschaft nicht geklärt ist. EIN potenzieller Vater ist der eigene Stiefvater …
Es ist ein raffinierter Schachzug von Eva Schmidt in einer an sich eher eindimensionalen Geschichte, eine Hauptfigur ins Spiel zu bringen, der man schon allein deshalb nicht trauen kann, weil sie das meiste verschweigt und auch gerne lügt – ob talentiert oder untalentiert, sei einmal dahingestellt. Wo andere reden, kommt Maren ins Sinnieren. Sie, die im weiteren Verlauf noch ihre Leidenschaft für die Fotografie entdecken wird, imaginiert und beobachtet lieber akribisch; zum Beispiel die Bilder in der Kunsthalle, in der sie für kurze Zeit arbeitet. „Das Gewächshaus war hell beleuchtet, im Licht, das ein Stück des Rasens, das Mädchen, einen Bretterzaun und den Stamm eines Laubbaumes beleuchtete, sah man seine rot gefärbten Blätter. Es schien, als würden sie durch die Luft segeln und gleich zu Boden fallen. Als würden sie tanzen.“
Getanzt wird sonst eher wenig. Die Temperatur des Romans ist nahe dem Gefrierpunkt. Maren ist klug, aber sehr kontrolliert. Zwischen den Figuren herrscht eine hochgradige Beziehungs- und Kommunikationslosigkeit, alles wirkt wie zugefroren, und entsprechend oft schneit und regnet es auch in diesem Roman. „Empfand nichts. Versuchte, sich vorzustellen, dass ihre Mutter tot war. Tot in der Badewanne mit aufgeschnittenen Pulsadern. Tot in einer Schlinge von der Decke hängend, die Zunge zwischen den Lippen. Sie fragte sich, wo im Haus die geeignetste Stelle wäre, um sich aufzuhängen.“
Auch als Marens homosexueller Freund Alex bei einem Autounfall ums Leben kommt, berührt sie sein Tod kaum. Ähnlich verhält es sich bei ihrer Freundin Lisa – diese ist schließlich damit beschäftigt, sich ihr Leben mit ihrem neuen Freund gemütlich einzurichten. So etwas wie eine wirkliche Nähe zwischen den Figuren oder ein Interesse am jeweils anderen? Fehlanzeige! Die gibt es weder zwischen Vera und Robert noch zwischen Maren und ihrem Lover Max noch zwischen Lisa und Alex. Die Figuren sind einsame Egozentriker, sie kreisen permanent um sich und um ihre eigenen Befindlichkeiten. „Oft wünschte sie sich die Menschen weg. Wollte allein sein in dieser Welt, in der sie sich in manchen Augenblicken selbst in einen stummen, leblosen Abguss verwandelt fühlte, nur Licht und Schatten, Staubpartikel in der Luft, Hell und Dunkel um sich herum.“

Thomas

Mit Thomas könnte die Geschichte neu geschrieben werden. Thomas tritt auf den letzten 30 Seiten des Romans auf. Er ist Fotograf und lebt allein in einem alten Haus. Maren wird seine Assistentin, und ihm beginnt sie zu vertrauen; vielleicht, weil er der einzige ist, der sie nicht verändern möchte. Man weiß es nicht so ganz genau. „Thomas gefiel ihr. Er war kein besonders attraktiver Mann. Wirkte etwas breit. Hatte die Haare seitlich abrasiert, den Rest zusammengeknotet. Aber er war voller Energie, bewegte sich schnell, gleichzeitig wirkte er ruhig und konzentriert. Er war ein aufmerksamer Zuhörer.“

Radikaler Verzicht auf Opulenz

Eine aufmerksame Zuhörerin und eine genaue Beobachterin ist auch die Autorin, die in der kompromisslosen Reduktion auf Wesentliches ganz bewusst Lücken für die Fantasie belässt und sich ihre Inspiration aus jenen Geschichten holt, die das Leben so schreibt. Und die sind bekanntermaßen selten abgerundet, stattdessen meistens fragmentarisch. Eva Schmidts Literatur ist kein opulentes, quirliges Gewässer, sondern ein ruhig dahinfließender Strom, dessen Charme halt eher von herber Natur ist.

Buchpräsentation:
7.3., 20 Uhr, Vorarlberger Landestheater T-Café, Bregenz