Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Ingrid Bertel · 25. Okt 2011 · Literatur

Arbeiten am Sprachstrauch – Wolfgang Bleiers neues Buch „Die Arbeitskräfte“

„Die Arbeitskräfte“ nennt der gebürtige Dornbirner Wolfgang Bleier seine nunmehr dritte lange Erzählung. Erste Skizzen zu diesem Buch gehen auf frühe Erfahrungen als Hilfsschlosser in Appenzell zurück. Doch „Die Arbeitskräfte“ ist weit mehr als ein Erfahrungsbericht.

In bestechender sprachlicher Dichte verdeutlicht das Buch, wie das Zusammentreffen von Mobilität und Rationalisierung die Verletzlichkeit des Menschen auf ein fast unerträgliches Maß steigert. „Ohne zwingenden Grund wurde ich Hilfsschlosser, mein schwerer Mund ist kaum noch zu bewegen, der eiserne Mund bereits erkennbar. Ich bin hier, um einen Arbeitsplatz einzunehmen.“

Eine Welt ohne Menschenfreundlichkeit

Ein Mann im Räderwerk der Fabrik, ein Stift, ein Nichts zwischen Alltagsfrust und Wochenend-Rausch, ein Wesen, halb Maschine, halb Arbeitskraft. Wolfgang Bleier stürzt sich in eine Welt ohne Menschenfreundlichkeit. Nur die Arbeitskraft zählt, die Disziplin, die Produktivität – und die ist nur um den Preis maximaler emotionaler Dumpfheit aufrechtzuerhalten, grundiert von bodenloser Verzweiflung. „Der Mensch ist ganz allein im Morgengrauen. Für nichts und wieder nichts läuft man auf der Erde herum. Abgezogen von der großen Menschenmenge fehlt in Wirklichkeit niemand.“

„Weil der liebe Gott es will“

Was es für den einzelnen, sehnsüchtigen Menschen bedeutet, ausgerechnet in seinem Menschsein als ganz und gar überflüssig auf dieser grünen Erde zu gelten, das auszuloten ist eine schwierige, eine bedrückende Arbeit. Und Wolfgang Bleier stellt sich ihr mit sehr viel Mut und einer großen Heiterkeit. „In der Kirche bin ich still, weil der liebe Gott es will.“ Der liebe Gott gibt keinen Halt in einer Welt, in der der Einzelne nur eine speckige, dreckige Stempelkarte ist.
Einziger Hoffnungsschimmer zwischen Dornbirn-Haselstauden und einer irgendwie dialektal gefärbten Fabrikswelt in Appenzell ist eine geradezu magische Natur. Bewahrt sie den Mund davor, „erkennbar eisern“ zu werden? Die Hoffnung könnte trügerisch sein. „Der Mund ist dunkel in Flusslandschaft, und es fahren die Rädertierchen; ich maule, so viele Dinge sage ich, also spreche ich Schrauben und Muttern, Eisenteile und Blech.“

„Wer hört, muss nicht fühlen“

Die Redewendungen unserer Sprache sind nie fern, wenn Wolfgang Bleier nach dem Menschen in der Arbeitskraft sucht. Aber sie sind auch nicht nahe. Es ist eine zerbrochene Welt, in der das Ich kein Skelett mehr hat, keinen Halt, keine Zärtlichkeit, kein Daheimsein. „Vor allem der Neid auf die Vögel“, konstatiert der Autor, „der Neid auf die Vögel plagt mich. Winkeliges Biegen von Blechen, Abfaltung der Keimscheibe, reitende Aorta.“

Die Sprachlosigkeit des Empfindens

Wenn der Arbeitskraft auch schon die Vögel als Blech erscheinen, wünscht man ihr ob dieser furchtbaren Isoliertheit einen Aortariss; ein stilles, schmerzloses, jähes Ende. Aber das gibt es nicht. „Wer hört, muss nicht fühlen“, schreibt Bleier, „aber wenn ich wollte, könnte ich.“ Was bedeutet noch das Fühlen in der Welt der Arbeitskräfte? Wer ist nicht längst – mit oder ohne Fabrik – zum Wellblech einer „anything goes“-Gesellschaft geworden? Wer vertreibt nicht mit einer „Happy Hour“ das heulende Elend im Räderwerk seines Jobs? Wer kann noch sagen, wie frisch geschnittenes Gras riecht? Und wer erinnert sich daran, wie es die Haut zwischen den Zehen aufschnitt? Wolfgang Bleier! Er hat ein sinnliches Gedächtnis, das sich zart rhythmisiert in flutenden Bildern ergießt. „Arbeitskräfte“ ist ein Buch für LeserInnen, ein Buch für Menschen auf der Suche nach der sprachlichen Gewissheit und im Wissen um die Sprachlosigkeit des Empfindens.


Wolfgang Bleier, Die Arbeitskräfte, Klever Verlag, Wien 2011, 114 Seiten, ISBN 978-3-902665-32-4, 15,90 €