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Raffaela Rudigier · 06. Feb 2014 · Literatur

„Tod auf der Tageskarte“ – Der neue Kriminalroman von Christian Mähr

Leichen auf Schritt und Tritt – zufällig ermordete, bestialisch hingerichtete, übel zugerichtete Menschen finden sich in Christian Mährs neuem Roman „Tod auf der Tageskarte“. Der geneigte Leser sollte also nicht zartbesaitet sein. Hinzu kommt das Setting des Geschehens: Die Handlung spielt sich nicht etwa im fernen Sizilien oder im kalten Russland ab, sondern in heimischen Gefielden: von Dornbirn nach Koblach bis ins Gamperdonatal führt diese seltsame Reise, auf der es gleich zu Beginn ziemlich zur Sache geht. Warum sollte so etwas nicht auch bei uns um die Ecke passieren?

Alles beginnt mehr oder weniger damit, dass Matthäus Spielberger, der Wirt der „Blauen Traube“ in Dornbirn, nach einem Unfall eine seltsame Gabe hat: er träumt von zukünftigen Ereignissen. Im Traum sieht er, wie zwei Männer eine schlimm zugerichtete Leiche von der Brücke in die Rappenlochschlucht werfen. Davon erzählt er seiner illustren Stammtischrunde, die aus seinen drei Freunden besteht. Dazu gehören: Lothar Moosmann, ein eigenbrödlerischer und leicht aufbrausender Holzschnitzer, Dr. Lukas Peratoner, ein pensionierter Chemieprofessor mit dem Hang zu monotonen Vorträgen und der oft nahe am Wasser gebaute Buchhalter und Witwer Franz-Josef Blum, ein verhinderter Bariton Sänger. Die drei überreden den Wirt, gemeinsam in die Rappenlochschlucht zu fahren, um nachzusehen, ob dort unten wirklich eine Leiche liegt. Auf dem Weg dorthin begegnen sie einem Mann, den Matthäus Spielberger aus seinem Traum kennt.
So werden unbescholtene Bürger in dunkle Machenschaften verwickelt. Globale Ängste werden dabei in unscheinbaren Vorarlberger Kellern materialisiert. Zwielichtige Geheimdienste schnüffeln herum, Spezialisten „aus ... sagen wir Tschetschenien“ gehen ihrer Profession nach und vier unbedarfte Hobby-Schnüffler, ihres zeichens Stammtischhocker aus der „Blauen Traube“, finden sich in einem „Räuber-und-Gendarm-Spiel für Erwachsene mit echten Toten“ wieder. Was anfangs vielleicht wegen der Vielzahl der mitwirkenden Charaktere etwas verwirrend erscheint, löst sich zunehmend rasant in einem Verbrechensreigen auf.

Chemische Vorgänge


Dass surreale Dinge, wie prophetische Träume, in der Romanwelt Christian Mährs als mehr oder weniger normal hingenommen werden, ist nichts Neues. In seinen Büchern kam es in der Vergangenheit schon öfter zu phantastischen Begebenheiten wie Levitation, Parallelwelten oder seltsamen Entgleisungen der Natur. Ebenso wenig überrascht seine geneigten Leser wohl, dass auch diesmal wieder chemischen Vorgängen eine wichtige Rolle zukommt. Der promovierte Chemiker Christian Mähr baut wieder auf sein Steckenpferd und ersinnt in seinem Roman ein wichtiges chemisches Verfahren, das nicht in falsche Hände geraten sollte. Dabei wird Vorarlberg ein bisschen zum Nabel der Welt und die Vorgänge hier sind plötzlich von internationalem Interesse. Haupttriebfeder in diesem Krimi ist die altbekannte Gier, „der ehrlichste und menschlichste aller Triebe“ und (im Falle der vier Stammtischfreunde) die banale Neugierde gepaart mit Gutmenschentum.

Witz, Ironie und schwarzer Humor


Der Vielschreiber Mähr baut wissenschaftliche Exkurse über Themen wie Astronomie, den Ingenieur Alois Negrelli oder über Hyperventilation, ganz nebenbei ein, ohne dabei zu langweilen.
Pointiert werden in „Tod auf der Tageskarte“ die Welt der Vorarlberger und so manche Eigenarten der Alemannen beschrieben: „Alemannen besetzen im leeren Lokal erst die Ecktische, dann die Tische an den Wänden und erst, wenn die alle besetzt sind, die in der Mitte. Es kann aber sein, dass sie in diesem Fall wieder gehen und ein weniger volles Etablissment suchen. Und man setzt sich nie an einen Tisch, wo schon jemand ist. Außer man kennt den, dann muss man dorthin, wenn man nicht zerstritten ist. (Wenn man zerstritten ist, wechselt man das Gasthaus.)“

Witz, Ironie und schwarzer Humor zeichnen den Erzählstil des Autors aus. So kostete ein Newtonfernrohr den Hobby-Astronomen Spielberger „über dreitausend Dollar und eine mittelschwere Ehekrise“, der Ex-Freund seiner Tochter war ein „egomanischer Vollpfosten“ und „seine Bedeutsamkeit, der Herr Diplomsuperingenieur“ macht auch schon mal einen banalen Fehler. Außerdem wird darüber sinniert, ob ein Geständnis mitunter „Sanktionen auf der Fingerbrechebene (...) oder schon auf der Rippenbrechebene oder sogar auf der Milzrissebene“ nach sich ziehen könnte.

Über die Sicht eines allwissenden Erzählers wird direkt und meist in fließendem Übergang in die Gedankenwelt der verschiedenen handelnden Charaktere hineingesehen. Als Stilmittel fungieren dabei oft unvollständige, kurze (zuweilen nur aus einem Wort bestehende) Sätze, wie etwa: „Hirnverbrannt.“, oder: „Eine Täuschung. (...) Na und? Kommt vor.“, was den inneren Monolog der Figuren verdeutlicht.

Gelegentlich wird auf zukünftiges Geschehen verwiesen, wobei der Leser ab und an auch direkt angesprochen wird: „Er verlor das Bewusstsein. Keine Angst, sonst ist ihm nicht viel passiert. (...) Wir brauchen ihn ja noch. Ja, wir brauchen ihn ja noch. Und viele andere Menschen brauchen ihn auch noch.“
Man könnte vielleicht bemäkeln, dass die sogenannten „Spezialisten“ für Sonderaufträge mitunter etwas stereotyp dargestellt werden und meist aus Ländern des Ostens kommen, wenngleich attestiert wird: „(...) es ist ein weit verbreitetes Vorurteil, dass die Schläger und Folterer alle dumpf und primitiv sind und keinen Zentimeter weit selber denken.“
Insgesamt muss jedoch gesagt werden, dass Christian Mähr wieder einen amüsanten, spannenden und schwarzhumorigen Vorarlberger Krimi geschrieben hat. Verfilmung könnte durchaus wieder folgen. Fortsetzung übrigens auch.