Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Gunnar Landsgesell · 22. Mär 2019 · Film

Wir

Ich ist ein Anderer, schrieb Rimbaud einmal. Was also, wenn es an der Tür läutet, und man steht sich selbst gegenüber, und dieser Andere will einen töten? In "Wir" treibt Regisseur Jordan Peele seinen makaberen Spaß mit dem Doppelgänger-Motiv, wenn eine schwarze Mittelschichtfamilie von ihrem mörderischen Selbst heimgesucht wird. Eine schlichte Horrorfarce, die zum Rätseln einlädt.

In der Horrorfarce „Get Out“ hatte Regisseur Jordan Peele seine Spielchen über das Verhältnis von weißen und schwarzen Amerikanern getrieben, als er eine perfide Mittelstandsfamilie Afroamerikaner in ihren Hauskeller locken ließ, wo sie deren Körper als Jungbrunnen ausbeuteten. Die Erwartungen waren hoch, was dieser Jordan Peele, bis dahin in den USA als Comedian und Schauspieler (und als Producer von Spike Lees „BlacKkKlansman“) bekannt, nun aushecken würde. Der Titel des Nachfolgers ist ebenso lapidar wie vielversprechend: „Wir“ („Us“). Was erzählt Peele diesmal über die Nation? Eigentlich nicht viel, weil Peele einen recht schlichten Horrorfilm rund um das Thema des Doppelgänger-Motivs gebaut hat: Eine schwarze Mittelschichtfamilie fährt auf Urlaub an den Strand in Kalifornien und wird in ihrem Ferienhaus des Nächtens von sich selbst heimgesucht. Das Ehepaar Adelaide (Lupita Nyong'o) und Gabe (Winston Duke) sowie die Kinder Jason (Evan Alex) und Zora (Shahidi Wright Joseph) stehen plötzlich in der Einfahrt des Hauses, mit orangen Overalls (wie von Häftlingen) und einer großen Schere in der Hand. Und begehren Einlass. Einzig Mutter Adelaide scheint nicht überrascht: Sie hatte schon als Kind in diesem Ferienort eine seltsame Begegnung mit sich selbst, in einem Spiegelkabinett. Den Baseballschläger, den Vater Gabe wehrhaft zückt, wird jedenfalls schon bald sein Doppelgänger schwingen. Dann wird es ziemlich blutig.

Blutiger "Rätselspaß"

Falls an diesen Szenen etwas komisch ist, dann das, dass (bis auf die Mutter) niemand dieser Familie zu erkennen scheint, wem sie gegenüberstehen. Als Zuseher darf man rätseln: Sind es die Schatten ihrer eigenen Person, von denen sie rachsüchtig heimgesucht werden? Sind es die historischen Leichen im Keller der Nation, aus dem ehemalige Sklaven als Untote wieder auferstehen? Thematisiert Peele also nach „Get Out“ nun auch in „Wir“ das Verhältnis der Ethnien? Eher nicht, bekommen es doch alle Figuren in diesem Film mit sich selbst zu tun. Das gilt auch für die befreundete weiße Familie, die ein paar Strandhäuser weiter wohnt. Auch dort läutet es an der Tür, auch dort steht man seinem eigenen mörderischen Doppelgänger gegenüber. So wie überhaupt in den gesamten USA, wo die Bürger wie bei einer Epidemie von sich selbst heimgesucht und gemordet werden. Peele hat sichtlich Spaß am Schabernack mit dem Publikum. Viel Futter für Interpretationen gibt er nicht, jeder darf sich seinen eigenen Reim auf das Spielchen machen.

Bei der US-Filmkritik kam die Einladung zur philosophischen Neckerei gut an. "Keep it simple" ist wohl auch das Motto von Peele. Als Vater Gabe die unheimlichen Gäste fragt, wer sie denn seien, lautet die lapidare Antwort: „Wir sind Amerikaner“. Und als Intro für seinen Film greift Peele ein Motiv aus den 1980-er Jahren auf. Zu Beginn von „Wir“ ist ein Werbespot zu sehen, der für die Aktion „Hands Across America“ produziert wurde. 1986 reichten sich rund sechs Millionen Amerikaner quer durch die Nation zu einer endlosen Menschenkette die Hände. Das Ereignis war Teil des Projekts „USA for Africa“ (aus dem auch der Charity-Hit „We are the World“ mit Bob Geldof, Michael Jackson u.a. hervorging). 30 Jahre später kann man auch im mörderischen Chaos von „Wir“ solche Menschenketten erspähen, nur dass sie alle orange Overalls tragen und sich als Doppelgänger die Hände zum Töten reichen. Irgendwann im Film sagt jemand, „Ich würde das hier ‚the Ungathering’ nennen, also die „Un-Versammlung“. Jede Interpretation ist willkommen, und sei es die profane, dass die USA seit Trump so polarisiert sind und die Politik so niederträchtig und gemein geworden ist, dass man nicht mehr miteinander reden könne, wie der ehemalige US-Vize-Präsident Joe Biden es kürzlich formulierte. Bei Jordan Peele geht es wohl eher um die Innenschau, wie das Gute und das Böse sich ständig gegenseitig niederringen. Blöd wird es nur, wenn man sich selbst im Spiegel sieht und das Gegenüber einem fies entgegen lacht.