Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 08. Sep 2020 · Film

Über die Unendlichkeit

Der schwedische Regisseur Roy Andersson ist der Meister eines minimalistischen Kinos mit maximaler Wirkung: Auch in seinem neuen Film erzählt Andersson in einer Reihe von Vignetten von menschlichen Begegnungen zwischen Schmerz und lakonischem Humor. Kino, das seine Stiche so wirksam setzt wie Akupunktur.

Das Branchenmagazin „Variety“ nannte seinen Film „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ (2014) eine „Meisterklasse des Erzählens“. Entscheidend ist dabei, wie der schwedische Regisseur Roy Andersson erzählt. Wer einmal einen seiner Filme gesehen hat, erkennt einen solchen innerhalb von Sekunden. Das gilt auch für Anderssons jüngste Arbeit, „Über die Unendlichkeit“. Der Meister des lakonischen Humors setzt erneut auf Tableaus, die fast wie gemalt aussehen: Pastelltöne in Hellbraun und Grau; Figuren, deren Gesichter seltsam fahl wirken; und Szenerien, die das echte Leben eher ironisieren als diesem entrissen zu sein. Schon für seinen Film mit der Taube ließ sich Andersson von Bruegels „Die Jäger im Schnee“ inspirieren, und auch seine jüngste Elegie über das Leben verhält sich nicht gerade so, wie man das vom Bewegtbild-Medium Film erwartet. Denn gerade in der Verlangsamung seiner Figuren, fast schon im Stillstand, überrascht Andersson mit der größten Intensität seiner Szenen. Oft schmerzt es, und meistens ist es sehr komisch, aber nie lässt einen eines dieser Bilder kalt. 

Irritationen auf höchster Ebene

Man stelle sich einen älteren Mann vor, der verzweifelt durch einen Türausschnitt einer Psychologin am Schreibtisch sagt, „Ich habe meinen Glauben verloren“, und von ihr zur Antwort bekommt, „Wir haben morgen wieder Sprechstunde.“ Das ist so normal und zugleich hochgradig absurd, dass einem erst die Perspektivverschiebung, auf die sich Andersson ganz hervorragend versteht, das Allzumenschliche unseres täglichen Lebens vor Augen führt. „Über die Unendlichkeit“ lädt dazu ein, Szenen unser aller Leben noch einmal zu rekapitulieren und dabei jene Seiten daran zu spüren, die wir sonst sofort verdrängen. Ganz einfach, weil sie eher unerträglich wären. Dass diese Szenerien zumeist in den selbst gebauten Papp-Kulissen von Anderssons eigenem Studio stattfinden, tut der Wirksamkeit keinen Abbruch, im Gegenteil. Anderssons Kino des Minimalismus ist unglaublich effizient. Er reiht Szene für Szene aneinander und kreiert in seiner lakonischen Tonart immer neue soziale Begegnungen, die nicht davon erzählen, was man sieht, sondern davon, was man spürt. Da gibt es diesen Priester, der vom Glauben abgefallen ist. Schließlich bei einem Psychologen gelandet, erzählt er diesem von seinen Nöten. Er glaube nicht mehr an Gott, aber seine finanzielle Existenz hänge davon ab, seiner Kirchengemeinde Gott näherzubringen. Der Psychologe verspricht, zu helfen, nicht ohne den Hinweis, dass das natürlich nur gegen Bezahlung möglich sei. Auch er lebe von Honoraren. Das ist eine von vielen Vignetten des Films, und die Luft darin ist zum Schneiden dick. Andersson führt diesmal mit einer Frauenstimme durch seine Szenen. Zu dieser hat er sich aus „1001 Nacht“ inspirieren lassen. Man gleitet mit einem Liebespaar durch die Lüfte über eine in Ruinen liegende Stadt, begegnet einem Kellner und seinem Gast, die beide gedanklich ganz woanders scheinen, oder betrachtet ein Bäumchen, in einen kleinen Blumentopf gepresst, auf einem Gehsteig, rundum Beton. Eine junge Frau gießt den Baum, besprüht ihn mit Wasser, und fragt sich, was hier eigentlich schief läuft. Irritationen, die man in „Über die Unendlichkeit“ oft hat. Andersson bezieht dieses Gefühl meisterlich aus unserer menschlichen Existenz selbst.