Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Walter Gasperi · 08. Apr 2011 · Film

The Fighter

Bei "The Fighter" spiegelt die auf Tatsachen beruhende Story gewissermaßen die Karriere des Regisseurs. Denn wie der Protagonist Micky Ward erst nach vielen Niederschlägen den Durchbruch als Boxer schaffte, so hatte auch David O. Russell nach dem Flop „I Love Huckabees“ in Hollywood keine guten Karten. Als Regisseur dieses Crossovers aus Boxerfilm, Familiengeschichte und Milieustudie kam Russell erst ins Spiel, als sich Darren Aronofsky lieber „Black Swan“ zuwandte.

Mehr als durch den am 11. März 2000 errungenen Weltmeistertitel im Halbweltergewicht der WBU wurde Micky Ward durch seine drei Kämpfe gegen den Kanadier Arturo Gatti bekannt. Zwei dieser Kämpfe zwischen den beiden offensiven Boxern, die auf Deckung keinen Wert legten, erklärte das „Ring Magazine“ 2002 bzw. 2003 zum „Kampf des Jahres". Wards Halbbruder Dick Eklund sorgte dagegen schon 1978 für Schlagzeilen, als er Sugar Ray Leonard niederschlug, den Kampf aber letztlich nach Punkten verlor, unter anderem, weil der Ringrichter diesen Niederschlag als Ausrutscher Leonards wertete.

Ewiges Talent, cracksüchtiger Bruder, dominante Mutter

Eklunds legendärer Kampf wird zwar in "The Fighter" immer wieder erwähnt, kommt aber im Film so wenig vor wie Wards Kämpfe gegen Gatti. Denn David O. Russell beschränkt sich auf die Zeit von 1993 bis zu Wards Sieg im WM-Kampf gegen Shea Neary.  Mehr als im Ring wird in „The Fighter" aber innerhalb der  dysfunktionalen "White Trash"-Familie des ewigen Talents Micky Ward (Mark Wahlberg) gerungen. Den Ton gibt hier eindeutig die Mutter (Melissa Leo) an. Sie managt auch Micky, doch ihr ganzer Stolz ist ihr älterer Sohn Dicky (Christian Bale), dessen Karriere Anfang der 90er Jahre aber längst vorüber ist.
Jetzt gibt sich Dicky dem Crack hin, ist selbst so heruntergekommen wie die Oststaatenstadt Lowell, die einst als Geburtsort der Industriellen Revolution in den USA galt, seit Anfang der 1920er Jahre aber zur Industriewüste verkam. Zukunftsperspektiven boten sich hier für junge Männer wie Dicky und Micky nur im Boxen und so wurde Lowell zu einem Zentrum des Boxsports.

Familie oder Karriere?

Beim Boxen geht es aber nicht nur ums Kämpfen im Ring, wichtig sind auch die Hintermänner. Schlechte Karten hat da Micky mit seinem Bruder als Trainer. Ständig verpennt dieser in seiner Sucht Termine und verkauft seinen Bruder des schnellen Geldes wegen dann und wann auch an Kämpfe gegen übermächtige Gegner.
In seiner Heimatstadt will sich Micky nach so einer Niederlage nicht blicken lassen, trifft sich mit der Barfrau Charlene (Amy Adams) lieber in einem Nachbarort. Doch Charlene glaubt an das Talent Mickys, fordert ihn auf sich von seiner Familie zu lösen.
So steht der innerlich schwache und naive Micky zwischen der Familie, zu der auch noch sieben Schwestern und ein schwacher Vater gehören, und Freundin, zwischen der Einsicht, dass er mit Mutter und Bruder kaum einmal den großen Durchbruch schaffen wird, und dem Bewusstsein, dass ein Wechsel von Management und Trainer zum Bruch mit der Familie führen wird. Zum endgültigen Wendepunkt wird für ihn schließlich die TV-Ausstrahlung eines Dokumentarfilms über seinen Bruder, in dem dessen Drogensucht in den Mittelpunkt gestellt wird.

Mehr Familien- als Boxerfilm

Wie die Karriere der Protagonisten schien auch die von Regisseur David O. Russell schon vorüber. Nach dem fulminanten „Three Kings“ standen ihm vor zwölf Jahren alle Tore offen, doch mit dem Flop von „I Love Huckabees“ (2004) änderte sich die Situation abrupt. Keine Aufträge erhielt Russell mehr und erst der Rückzug Aronofskys hiefte ihn für „The Fighter“ in den Regiestuhl. Dem Boxerfilm, von dem man schon viele Spielarten vom eleganten Tänzer im Ring („Gentleman Jim“; Raoul Walsh, 1942) über Korruptionsgeschichten („Body and Soul“, Robert Rossen,1946) bis zur Zerstörung der Persönlichkeit durch die Gewalt in Scorseses „Raging Bull“ (1980) im Kino sehen konnte, gelingt es Russell noch neue Facetten abzugewinnen.
Im Vordergrund erzählt „The Fighter“ zwar die nicht nur in Sylvester Stallones „Rocky“-Saga erzählte Geschichte vom Underdog, der sich aus der Gosse heraus zum Weltmeistertitel boxt, doch hält Russell die Kampf- und auch die Trainingsszenen eher kurz.
Im Zentrum stehen die familiären Beziehungen, die vor dem eindrücklich eingefangenen Hintergrund des tristen Lowell geschildert werden. Dank bis in die Nebenrollen starker Darsteller entwickelt sich hier ein packendes, aber auch mit komischen Momenten durchzogenes Familiendrama.

Großes Schauspielerkino

Mark Wahlberg, der sich jahrelang für die Realisierung dieses Projekts eingesetzt hat, spielt den undankbaren Part des duldsamen und kantenlosen Micky zurückhaltend, überlässt den Raum den mit dem Oscar ausgezeichneten Christian Bale und Melissa Leo.
Ersterer wartet mit einem Körpereinsatz auf, der an seine Darstellung in Brad Andersons „The Machinist“ erinnert. In jeder Geste bringt er den psychisch angeschlagenen Zustand Dickys zum Ausrduck, vermittelt aber auch glaubhaft dessen Wandlung.
Melissa Leo besticht dagegen in der Rolle der Mutter mit großem Mut zur Hässlichkeit, zum Schäbigen und Heruntergekommenen. Überzeugender Gegenpart zu ihr ist wiederum  Amy Adams als Mickys bodenständige Freundin Charlene.
Souverän verknüpft Russell diese Familiengeschichte mit der vom Traum der beruflichen Karriere, der für zunächst wenige, gegen Ende aber zunehmend mehr harte Kampfszenen sorgt, und führt die inszenierte Geschichte im Nachspann in die Realität über, wenn Dokumentaraufnahmen der echten Brüder eingeschnitten werden.