„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Gunnar Landsgesell · 26. Aug 2021 · Film

The Father

"The Father" inszeniert die Beziehung eines demenzkranken Vaters (Anthony Hopkins) und seiner Tochter (Olivia Colman) weniger als sozialrealistisches Drama sondern mit den Mitteln des Thrillers. In der kunstvoll gestalteten Verfilmung des Bühnenstücks von Florian Zeller kann auch das Publikum bald den Bildern nicht mehr trauen.

Es hätte eines von mehreren Demenz-Dramen werden können, aber Regisseur Zeller und Hauptdarsteller Anthony Hopkins verschieben diesen Film bedrohlich in Richtung Horrorfach. „The Father“ basiert auf einem Bühnenstück des französischen Autors Florian Zeller, der nun auch die Regie für die trickreiche Verfilmung übernommen hat. Hopkins mimt einen alleinstehenden alten Mann, der bereits an Demenz erkrankt, gleichermaßen mit seiner verlorenen Erinnerung und auch seiner Wahrnehmung kämpft. Seine Tochter (Olivia Colman) und deren Mann (Rufus Sewell) erkennt er nicht immer, auch als Zuseher vermeint man in den Figuren  verschiedene Schauspieler/innen wahrzunehmen. Hopkins schwankt darüber zwischen Wut und nicht minder unangenehmen Charmeoffensiven, etwa gegenüber seiner neuen Pflegerin (Imogen Pooth). Darf man der Auskunft seiner Tochter glauben, dann ist es schon die vierte, die „der Vater“ verbraucht hat. Doch genau hier liegt die Perfidie dieser Verfilmung: Zeller inszeniert die Wohnung und handelnde Personen wie Vexierbilder als verfremdete Phänomene. Während einem gewisse Szenen mehrmals begegnen, allerdings in leicht abgewandelter Form, ergibt sich daraus nicht nur ein schleichendes Misstrauen der eigenen Wahrnehmung gegenüber der Realität, sondern man wird auch in den Schmerz einer Demenzerkrankung geworfen, in der Leid und Wut über das erodierende Vertrauen gegenüber der Umwelt sich abwechseln.

Kein sozialrealistischer Film

Ob das so tatsächlich dem realen Krankheitsbild von Patienten entspricht, scheint dabei weniger wichtig zu sein. „The Father“ ist kein sozialrealistischer Film, sondern mehr an den Spielarten des Thrillers interessiert. Viel Aufwand wird in die ausgefeilte dramaturgische Auflösung des Stoffs investiert, Montage und Kamera sind unablässig damit beschäftigt, das Publikum in ausgefeilten Tableaus hinters Licht zu führen. Anthony Hopkins erweist sich dabei als Meister seines Fachs, der sich sowohl auf die Zwischentöne der gepflegten Bühnenpräsenz versteht wie auch auf einen diabolischen alten Verrückten, der jede Minute zum Gewaltausbruch neigen könnte. Nicht minder eindrücklich ist Olivia Colman als seine leidgeplagte, bemühte Tochter Anne, der ein gewisser Leidensdruck schon ins Gesicht geschrieben ist. Auch bei Colmans Performance ist es wohl Absicht, dass man auch ihr als besorgter Tochter bald nicht mehr traut. Alles schwankt in diesem Film, durchaus mit Absicht. So kunstvoll „The Father“ auch ausgefallen ist (dafür gab es sechs Oscar-Nominierungen), so artifiziell wirkt er zugleich. Dazu passt auch die Opernstimme (Musik: Einaudi), die aus Hopkins Kopfhörern mit nobler Eleganz die Bilder der Vereinsamung begleiten. Irgendwann hört man den Gesang dann auch, ohne dass Hopkins die Kopfhörer aufhat. Und man fragt sich, von wem eigentlich die Bilder dieses Films stammen. Geht es sich bei allen Tricks und Kniffen des Drehbuchs dramaturgisch aus, dass sie alle stimmig wirklich allein aus der Sicht des Vaters erzählt werden? Dennoch: Wie „The Father“ die Mittel des Films nutzt, um die Brücken zwischen dem Erkrankten und seiner Umwelt langsam abzubrechen (und sogar neue vorzugaukeln), hat eine ganz eigene Qualität. Dass Tyrannei und Hilflosigkeit manchmal ganz nahe beieinander liegen, lehrt einen „The Father“ auf empfindliche Weise.