Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Walter Gasperi · 26. Aug 2021 · Film

Aktuell in den Filmclubs (27.8. - 2.9.)

Das Rankweiler Open-Air-Kino „Filme unter Sternen“ wird diesen Freitag mit Ken Loachs meisterhaftem Sozialdrama „Sorry We Missed You“ abgeschlossen. Beim „Walserherbst“ werden in Raggal drei Filme des Schweizers Fredi Murer gezeigt.

Sorry We Missed You: Ken Loach und Drehbuchautor Paul Laverty erzählen herzzerreißend von den verheerenden Folgen einer rein auf Profit ausgerichteten kapitalistischen Wirtschaft für eine britische Arbeiterfamilie. Während Abbie als Hauskrankenpflegerin arbeitet, freut sich Ricky zunächst über seinen neuen Job als Lieferant bei einem Paketdienst. Wortreich preist der Manager des Unternehmens dessen Vorzüge an, sei er doch hier freier Unternehmer, habe keine fixen Arbeitszeiten, sondern müsse „nur“ seine Aufträge erledigen. 
Bald zeigt sich freilich, unter welchem enormen Zeitdruck die Fahrer stehen. Möglichst viel und möglichst schnell muss zugestellt werden, denn der Kunde wartet auf die Produkte, die er bei diversen Online-Versandhändlern bestellt hat. – Nicht nur der Manager der Firma, sondern auch der Kinozuschauer, der bei solchen Firmen Waren bestellt, wird hier kritisiert und erscheint als Teil des ausbeuterischen Wirtschaftssystems. Im Zentrum des Films steht aber Rickys vierköpfige Familie, die unter den Arbeitsbelastungen zunehmend zu zerbrechen droht.
Die Kunst von Loach und Laverty besteht im scheinbar Kunstlosen. Sie beschränken sich im Grunde darauf den Alltag dieser Familie zu schildern, verzichten auf dramatische Zuspitzungen, setzen Musik auch erst ganz am Ende ein. Wie viele Filme des Duos lebt auch „Sorry We Missed You“ vom genauen und detailreichen Blick auf die Arbeitsbedingungen und dem empathischen Blick auf die Protagonist*innen, die von perfekt ausgewählten Laien gespielt werden und große Natürlichkeit ausstrahlen. Hier meint man eben nicht Schauspieler*innen auf der Leinwand zu sehen, sondern reale Menschen. Rasch wächst einem so diese von den Verhältnissen gebeutelte Familie ans Herz, während die Schilderung der Arbeitswelt für soziale Erdung sorgt.

Filme unter Sternen, Marktplatz Rankweil: Fr 27.8., 21 Uhr 
 

Drei Filme von Fredi Murer beim „Walserherbst“: Eng ist die Welt der Bergbauernfamilie in den Urner Alpen, zur Außenwelt gibt es kaum Kontakt. Noch einsamer wird das Leben für den nur "Bueb" genannten gehörlosen Sohn, als er von seinem Vater nach einem Vergehen auf die hoch gelegene Alp verbannt wird. Verstärkt wird seine Einsamkeit noch durch seine Gehörlosigkeit, aber auch seiner etwas älteren Schwester Belli fehlt jede Kontaktperson. Als Belli aber eines Tages ihren Bruder auf der Alp besucht, entwickelt sich eine inszestuöse Liebesgeschichte, die schließlich in eine Tragödie mündet.
Klein gehalten ist die Geschichte von "Höhenfeuer" (1985) und kommt mit wenigen Charakteren und einem Minimum an Dialogen aus. Durch die konzentrierte Erzählweise und die meisterhafte Einbettung des Films in die von Kameramann Pio Corradi großartig eingefangene, ebenso raue wie schöne Gebirgswelt entwickelt dieser "Bergfilm" aber eine Wucht, der man sich nicht entziehen kann. In der Reduktion aufs Wesentliche und in der genauen regionalen Verankerung gewinnt die individuelle Geschichte nämlich archetypischen und universellen Charakter. 
Nicht nur den Goldenen Leoparden von Locarno gewann dieses Meisterwerk, sondern wird regelmäßig zum besten Schweizer Film aller Zeiten gewählt. Sein Gespür für die Welt der Bergbauern hat Murer freilich schon elf Jahre zuvor mit dem Dokumentarfilm "Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind" (1974) bewiesen. Am Beispiel von drei Seitentälern im Kanton Uri beschreibt er darin einen Wandel dieser Welt, indem er dem natürlich gebliebenen Maderanertal, das touristische Schächental, in dem die Bauern mit Fabrikarbeit ihr Einkommen aufbessern müssen, und das Tal der Göschenenalp, in dem das Dorf einem Stausee weichen musste, gegenüberstellt.
16 Jahre später wiederum spürte Murer im Dokumentarfilm "Der grüne Berg" (1990) d
en Plänen zur Errichtung eines Endlagers für nuklearen Müll aus Schweizer Atomkraftwerken im Engelbergtal nach und fing auch den wachsenden Widerstand der bäuerlichen Bevölkerung ein. 
31.8.: Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind
1.9.: Der grüne Berg
2.9.: Höhenfeuer
Walserhalle Raggal, jeweils 20 Uhr
(„Höhenfeuer“ bei gutem Wetter: Bergstation Sonntag Stein, 20.30 Uhr)

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