Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 22. Nov 2018 · Film

Styx

Eine Seglerin trifft mit ihrer Yacht auf ein havariertes Flüchtlingsschiff. Was tun? Hilfe wird ihr per Funk untersagt. "Styx" ist ein Katastrophenfilm der besonderen Art und überrascht mit einer Haltung, die dem Publikum alle Möglichkeiten lässt, das Geschehen selbst zu beobachten und zu bewerten.

So lapidar der Titel dieses Films das Mittelmeer mit dem griechischen Fluss der Unterwelt gleichsetzt, der die Lebenden von den Toten trennt, so wenig mag „Styx“ sich einreihen in jene Filme über Flüchtlinge, die das Leid dieser Menschen auf eine für das Publikum bevormundende Weise in Human-Touch-Tragödien oder auch wohlmeinende Komödien verwandeln. Der, nennen wir ihn, „Segelfilm“ von Wolfgang Fischer ist kein Betroffenheitskino, auch wenn er sehr präzise davon handelt, wie wir alle und auch die Hauptakteurin dieses Films von der humanitären Katastrophe auf dem Mittelmeer betroffen sind. Doch der Reihe nach, denn Fischer stellt zu Beginn seines Films eine irritierende, wunderbare Bewegungsstudie, in der zwei Berberaffen eine Stadt erkunden. Mit scharfem Blick folgt die Kamera den beiden Tieren, die geschmeidig Betonsimse und Zäune überwinden. „Styx“ nimmt seinen Ausgang von der britischen Exklave Gibraltar und kündigt eine Art Kollision an, die sich schon bald nach Filmbeginn in Form eines Autounfalls ereignet. Rike (Susanne Wolf) ist Notärztin und wird mit der gleichen entschiedenen Genauigkeit am Unfallort tätig, wie sie das kurze Zeit später auf ihrer Segelyacht tut. Sie macht sich auf, um im Südatlantik eine Insel zu bereisen, auf der einst Darwin einen künstlichen Urwald gepflanzt hatte. Auf ihrer Route wird sie schließlich auf ein havariertes Schiff stoßen, auf dem Geflüchtete aus Afrika in eine Notlage geraten sind. Die Frage, die der Film stellt, ist keine einfache: Wie reagiert man in so einer Situation?

Allegorie auf ungleiche Kräfteverhältnisse

„Styx“ von Wolfgang Fischer ist eine Arbeit wie für das Kino geschaffen. Eine ebenso wortkarge wie ausdrucksstarke Elegie, die sich vorerst in der Poesie der Einsamkeit dieser Frau ausdrückt. Rike kennt ihr Schiff und manövriert es mit traumwandlerischer Sicherheit. Und sie kennt das Meer, dessen Stürme sie mit einer blitzenden High-Tech-Segelyacht und ihrem teuren Equipment pariert. Hier sitzt jeder Handgriff, Fischer filmt das Geschehen mit höchster Konzentration, die ansteckend wirkt. Susanne Wolf agiert ihre Rolle mit höchster Entschiedenheit aus, die einen glauben lässt, sie wäre wirklich Seglerin und der Zuseher wirklich am Meer. Anders als die minutiös durchorchestrierten Katastrophen, die etwa Robert Redford in „All is Lost“ bestehen musste, begegnet einem in „Styx“ das Unglück auf offenem Meer auf ganz andere Weise. Mit der Begegnung des havarierten Schiffes voll mit geflüchteten Menschen ändert sich die Tonart des Films. Aber anders als zu erwarten bleibt „Styx“ auf Distanz. Wir können nur unscharf aus der Entfernung beobachten, was sich dort abspielt. Nach einem Funkruf wird Rike gewarnt, sich dem Schiff zu nähern. Mit der Frage nach der gebotenen Hilfeleistung, zumal aus Sicht der Ärztin, findet der Film sein dramaturgisches Zentrum. Fischer inszeniert diese Passagen mit großer Umsicht, lässt die Spannung nie abreißen, ohne die Ereignisse zu überspitzen. Auch in diesen Momenten zeigt sich „Styx“ nicht als Film, der einen an der Hand nimmt, sondern Raum bietet, sich auf das Geschehen einzulassen. Das gleiche gilt auch für den politischen Hintergrund des Films, der zwar jahrelang von Fischer vorbereitet wurde, aber mit den Diskussionen über NGO-Schiffe, denen die Hilfsleistung verboten wird, brisante Bezüge erhält. Ein Film, der sich zurecht auch als Allegorie auf das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Europa und Afrika lesen lässt.