Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Walter Gasperi · 21. Dez 2010 · Film

Small World

Konrad Lang ist zwar erst um die 60, doch Ereignisse aus der unmittelbaren Vergangenheit vergisst er zunehmend. Dafür beginnt er, sich an früheste Kindheit immer genauer zu erinnern. Das passt aber der greisen Konzernchefin Elvira Senn, bei der Konrad aufwuchs, gar nicht. – Brav bebildert hat Bruno Chiche Martin Suters Bestseller, lässt aber jeden eigenen Ansatz und jede Originalität vermissen.

In seiner geistigen Verwirrung fackelt Konrad Lang (Gérard Depardieu) das Ferienhaus der Industriellenfamilie Senn ab, um das er sich kümmern sollte. Von einer Anzeige will die rund 80-jährige Konzernchefin Elvira Senn (Francoise Fabian) dennoch absehen, will sogar die finanziellen Mittel für Lebensunterhalt und Pflege Konrads zur Verfügung stellen. Rasch hegt man berechtigte Zweifel daran, dass die greise Chefin, die immer noch die Zügel innerhalb der Familie in der Hand hält, dies nur aus Nächstenliebe und Großmut macht. Ein Geheimnis scheint es in der Familie Senn zu geben, das tief in der Vergangenheit seine Wurzeln hat.

Risse in der glänzenden Oberfläche

Als Kind wuchs nämlich Konrad zusammen mit Elviras Stiefsohn Thomas (Niels Arestrup) auf. Innige Freundschaft verband die etwa Gleichaltrigen , doch immer war klar, dass Thomas der Industriellensohn und Konrad nur die Hilfskraft ist. Diese Vergangenheit tritt Konrad, mag er die Ereignisse der letzten Minuten auch sofort wieder vergessen, immer klarer vor Augen. Gefördert wird er bei der Erinnerungsarbeit von Simone Senn, in deren Hochzeit mit Elviras Enkel Philippe Konrad nach dem Brand des Ferienhauses hineinplatzte.
Während so auf der einen Seite die Gutmütigkeit Konrads und die Wärme und Fürsorge Simones stehen, stehen auf der anderen die Gefühlskälte der Familie Senn. Mit Simones Augen lässt Bruno Chiche den Zuschauer auf diese Welt des äußeren Glanzes blicken, taucht die Innenszenen in warmes Goldbraun, das aber von der kalten Winterstimmung außen kontrastiert wird.

Zwischen allen Stühlen

Der glatten und glanzvollen Oberfläche stehen so die Abgründe, die sich dahinter auftun gegenüber. An Claude Chabrol orientiert sich Chiche,  wenn er an der Fassade des Geldadels kratzt, nur fehlen ihm dabei der Biss und die Entschiedenheit des im September verstorbenen Meisterregisseurs. Wie dieser gesellschaftskritische Akzent nur Behauptung bleibt, so oberflächlich bleibt „Small World“ auch in der Schilderung von Alzheimer.
Nie lässt sich Chiche Zeit, sich auf ein Thema einzulassen, will Gesellschaftsporträt ebenso sein wie Alzheimer-Drama und setzt letztlich vor allem auf eine Thrillerhandlung. Doch auch diese kann nicht zwingend und packend entwickelt werden, denn die komplexe, um nicht zu sagen verworrene Familienkonstellation hemmt den Handlungsfluss.
Allzu viel will dieser Film sein und setzt sich so zwischen alle Stühle. Solide, aber ohne jede Inspiration wird der Roman bebildert, selbst eine Suspense-Szene in der Simone befürchten muss ertappt zu werden, ist aber nur sauber und nach 08/15-Muster inszeniert, sodass ihr die Spannung fast ausgetrieben wird.

Lustvoll aufspielender Dépardieu

Elegant sind zwar die Bilder, aber letztlich ohne Gehalt, dienen nur dazu die Geschichte zu transportieren, drücken aber nichts in sich selbst aus. Mit Kino hat das wenig zu tun, sondern erinnert ebenso wie die zahlreichen Großaufnahmen vor allem an Fernsehfilme. Dass „Small World“ mehr Fernsehen als Kino ist, zeigt sich auch im Umgang mit den Schauspielern. Erlesen ist zwar die Besetzung von Gérard Depardieu über Alexandra Maria Lara bis Nathalie Baye, aber Chiche lässt seinen Stars kaum Raum und Zeit um ihren Figuren mehr Ecken und Kanten zu geben.
Nur der mit sichtlichem Vergnügen agierende Depardieu kann aus dem engen Handlungskorsett ausbrechen, kann seinen Konrad facettenreicher anlegen, lässt ihn nie zum bemitleidenswerten Dementen werden, sondern gibt dieser Figur trotz der schweren Krankheit Leichtigkeit und einen gewissen Schalk, wenn manchmal in der Schwebe bleibt, ob Konrad wirklich so vergesslich ist oder die Vergesslichkeit aus gewissen und allzu verständlichen Gründen nur vortäuscht.
Letztlich kann aber auch Depardieu „Small World“ nicht retten. Denn während Suters Roman ein spritzig-originelles Lesevergnügen ist, ist diese Verfilmung eben nur bieder und einfallslos. Kenner der Vorlage werden keine Freude damit haben, bei solchen, die „Small World“ noch nicht gelesen haben, wird durch den Handlungsreichtum die Aufmerksamkeit vielleicht wach gehalten.