Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Gunnar Landsgesell · 27. Dez 2018 · Film

Shoplifters - Familienbande

Eine Familie an den Rändern Tokyos, die sich als solche tatsächlich erst gegründet hat. Niemand ist hier verwandt und doch halten alle solidarisch zusammen. Die Diebstouren, von denen sie leben, sind dabei das normalste der Welt. Der japanische Filmemacher Hirokazu Koreeda erweist sich einmal mehr als ein Meister wunderbar leichter Perspektiven von schwierigen familiären Konstellationen.

Als Osamu und sein Sohn Shota von einer abendlichen Diebstour heimwärts unterwegs sind, fällt ihnen wieder das kleine Mädchen auf, das vor Kälte zittert. Offenbar wurde sie ausgesperrt und alleingelassen von den Eltern. Vater und Sohn nehmen Yuri kurzerhand mit in ihre kärgliche Hütte, wo sich die Großmutter sogleich um das Mädchen kümmert. Die Narben an den Armen des vielleicht fünfjährigen Mädchens lassen darauf schließen, dass es kein einfaches Leben ist, an den Rändern Tokios, wo die Armen unsichtbar für die Gesellschaft leben.

Humanismus als erzählerische Kraft

Es ist einmal mehr erstaunlich, wie leichtfüßig der japanische Filmemacher Hirokazu Koreeda seine Geschichten über Unheil und Leid zu inszenieren weiß. Dabei kommt es, wie auch in „Shoplifters“, auf den Blick an, mit dem Koreeda der tristen Realität auch ermutigende Seiten abtrotzt. Eine Ambiguität, die man in sozial motivierten Filmen eher selten und fern der Verklärung sieht. Wie schon seine früheren Filmen beschäftigt sich auch „Shoplifters“ mit der Familie und deren Dynamiken. Der Clou hier ist aber, dass die Eltern, die Großmutter und die Kinder, die hier auf engstem Raum symbiotisch leben, eine Art Zufalls- oder Schicksalsgemeinschaft bilden und nicht miteinander verwandt sind. Das, was sie verbindet, ist ein Gemeinschaftsgedanke im besten Sinn, eigentlich ein festes Fundament für das, was man gemeinhin als Familie bezeichnet. Bei Koreeda wird es gleichermaßen inhaltlich durch die grassierende Armut wie in der filmischen Haltung durch einen tiefen Humanismus gebaut. Vater Osamu (Lily Franky) ist zwar Bauarbeiter, doch reicht das zum Leben nicht, also stiehlt er sich zusammen, was zum alltäglichen Leben gebraucht wird. Tochter Aki (Mayu Matsuoka) arbeitet im Rotlichtmilieu und zieht sich vor Männern aus, die sie durch die Glasscheiben nicht sehen kann. Die Großmutter trägt durch eine kleine Rente zum Haushaltseinkommen bei. Auch Osamus Frau (Sakura Ando) macht sich wie Shota (Kairi Jyo) immer wieder auf Beutezüge, nun auch für die kleine Yuri (Miyu Sasaki), mit der sie in Geschäften Kleider aussucht und diese dann in ihren Taschen verschwinden lässt. Koreeda folgt ihnen ganz locker, in zwanglosen Bildern, ohne eine besondere Moral beizusteuern, dafür aber mit einer feinen humoristischen Note. Die filmischen Vorbilder, die Koreeda in einem Interview nennt, Ken Loach, die Dardennes und Hou Hsiao-Hsien, fließen erkennbar in die Erzählweise des Japaners ein. Wie schon in seinem ersten großen Erfolg „Nobody Knows“(1994), in dem Kinder in einer Wohnung sich selbst überlassen sind, erschafft Koreeda einen eigenen Kosmos, in den man nach und nach, fast magisch, ganz versinkt. Die Kunst dieser Filme liegt darin, nichts vom Ernst der Situation zu nehmen und dennoch dem Zuseher so viel Raum zu überlassen, dass er sich federleicht ein eigenes Bild machen kann. Auch „Shoplifters“ steht jeder Sarkasmus fern, die New York Times nannte den Film treffend eine „grimmige Komödie“. Lange gleicht der Film den versonnenen Beobachtungen des jüngsten Sohnes. Dieser zieht sich aus Platznot oft in einen Kasten zurück und folgt von dort den Handgriffen und Details der Anderen. Am Schluss rückt „Shoplifters“ den Hausbewohnern dann doch näher und fügt einiges zusammen. Die Kraft der Filme Koreedas liegt freilich ganz in seiner meisterlich offenen Form.