Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Gunnar Landsgesell · 20. Mai 2022 · Film

Sechs Tage unter Strom

Drei Installateure in Barcelona, als Mikrokosmos unserer Gesellschaft erzählt, manchmal heiter, manchmal bissig. Ein Vorschlag zur Entschleunigung des Kinos.

Würde man „Sechs Tage unter Strom“ als Komödie bezeichnen, könnte das durchaus falsche Erwartungen wecken. Komödien konstruieren Situationen, die einem möglicherweise aus dem Leben bekannt vorkommen, aber ihren Humor daraus beziehen, stark überzeichnet zu sein. Der spanischen Regisseurin Neus Ballús ging es um das genaue Gegenteil, frei nach dem Vordenker des italienischen Neorealismus Cesare Zavattini, sich dem richtigen Leben anzunähern. Dass dabei Humorvolles passiert, ist nicht auszuschließen. Drei Installateure in Barcelona: einer von ihnen aus Marokko, Moha (Mohamed Mellali), versucht sich in der Probewoche zu bewähren, ein anderer, Valero (Valero Escolar), versucht das zu verhindern. Der dritte, Pep (Pep Sarrà), möchte, dass gut gearbeitet wird, geht dieser Tage aber in Pension. Pro Tag in dieser Woche ist ein Kundenbesuch angesagt, die Interaktion zwischen den Arbeitern und mit den Kunden ist das, was diesen Film auch ausmacht: lakonische, fast beiläufige Beobachtungen, in denen das Publikum gefragt ist, hellhörig zu sein. Ja, „Sechs Tage unter Strom“ handelt auch von Rassismus, aber nicht so, wie ihn das Kino gemeinhin thematisiert. Valero, der massige Typ, der gerade versucht abzunehmen und deshalb etwas wankelmütig bis griesgrämig wirkt, agitiert immer wieder mal gegen den „Marokkaner“. Als übermütige Zwillingsschwestern, in deren Wohnung eine Reparatur ansteht, die beiden auf den Balkon aussperren, teilt Valero aber auch sein Essen mit Moha. Für die katalanische Regisseurin Neus Ballús scheint ein Thema jedenfalls fast wichtiger als jedes andere in ihren Filmen: anders zu erzählen, erzählerische Konventionen zu brechen, auch wenn ein Genre-gewohntes Publikum sich hier erst orientieren muss.

Untertöne wichtiger als die Story

Zwei Jahre hat Ballús nach längerer Suche mit ihren Protagonisten gearbeitet. Alle drei sind auch im richtigen Leben Installateure, aber natürlich sollen sie nicht sich spielen, sondern die Geschichten, die Ballús zusammengetragen hat – freilich auch alle aus dem Leben. Da gibt es einen fast Hundertjährigen, der Moha in Einmachgläsern seine Lebenselixiere zeigt, oder die Fotografin, die bei einem Shooting auch Moha einlädt, mit nacktem Oberkörper in verschiedenen Positionen zu posieren. Untertöne sind in diesem Film eigentlich bedeutsamer als die Geschichte selbst. Sie erzählen davon, dass das Leben sich nicht auf einige Handlungsabläufe beschränken lässt, die qua Drehbuch und Set zum Publikum transportiert werden. „Sechs Tage“ ist insofern ein überraschend schlichter Film, der sich kaum zu einer spektakulären oder gar lauten Situation hinreißen lässt, andererseits aber polyphone Stimmungslagen auslotet und Mut zur Kontingenz beweist. Gerade, weil die Bilder des Installateur-Betriebs, der Kundenbesuche und der Szenen in den Haushalten der Arbeiter so zurückhaltend wirken, laden sie das Publikum ein, sich auf sie selbst einzulassen. „Dokumentarisch“ ist dieser Film nicht, „Sechs Tage“ folgt einer vorgegebenen Dramaturgie, aber als Dokument einer Entschleunigung des Kinos (als europäischer Gegenentwurf) eignet sich der Film wunderbar.