Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 20. Feb 2020 · Film

Ruf der Freiheit

In dem mehrfach verfilmten Klassiker von Jack London muss der Bernhardiner Buck sich Ende des 19. Jahrhunderts im verschneiten Yukon unter Goldgräbern behaupten. Ein Familienfilm im typischen Disney-Gewand, das dem Märchen näher als dem Abenteuer steht.

Dass dieser Hund nicht einfach Hund sein darf, wird in diesem Film irgendwann zum running gag: Weil Buck, der große Bernhardiner, zu Beginn das Festmahl abräumt und auch sonst keine Manieren besitzt, wird er zur Strafe nächtens aus den Südstaaten in den eisigen Yukon nach Kanada gebracht. Dort schlingert er fortan als Schlittenhund durch den Schnee, und unversehens hat „Ruf der Wildnis“ seine erste moralische Lektion erteilt: Der ungestüme Buck wird im Hundegespann diszipliniert und so zum nützlichen Mitglied der Gesellschaft. Das Beste daran ist: Er scheint auch noch froh darüber zu sein, wie ein Häftling, dessen Leben endlich Strukturen erhält. Jack London, von dem der bereits mehrfach verfilmte Roman „The Call of the Wild“ stammt, hatte das so nicht vorgesehen. Sein Buck wird entführt, weil der Besitzer Spielschulden hat. Es sind Nuancen, durch die Disney schon immer bestimmte Familienwerte propagiert hat. Auch „Ruf der Wildnis“ ist ein Familienfilm, und auch wenn diese Geschichte mit ihren abrupten Personen- und Ortswechseln öfters recht schludrig erzählt wirkt, ist dieses bieder inszenierte Abenteuer doch ein ganz nettes. In einem Interview erzählt Regisseur Chris Sanders („Lilo & Stitch“), dass von Anfang an klar war, dass Buck von keinem echten Hund gespielt wird, sondern im CGI-Verfahren auf die Leinwand gezaubert wird. Auch das Publikum versteht bald, warum. Nicht nur, dass „Ruf der Wildnis“ strikt aus der Perspektive des Hundes erzählt wird, hat dieser auch noch alle Pfoten zu tun, um die Begehrlichkeiten des Drehbuchs zu erfüllen. Buck durchbricht eine dicke Eisdecke, um seine Schlittenführerin vor dem Ertrinken zu retten; Buck erteilt dem grimmigen Leithund, der die anderen Schlittenhunde unterjocht, eine Lektion; und Buck ist seinem späteren Besitzer, einem zerzausten, einsamen Mann (Harrison Ford) im Yukon stets ein treuer Gefährte. Dieser Hund ist moralisch gesehen eine Lichtgestalt unter den verkommenen Goldsuchern in den verschneiten Weiten Kanadas. Und zugleich spielt er das recht mechanisch wirkende Schlittenführerpaar (dargestellt von Cara Gee und Omar Sy) an die Wand. Während die Inszenierung von „Ruf der Wildnis“ keine besonderen Raffinessen aufweist und episodisch dahin mäandert, scheint das ganze Leben dieses Films in diesem Hund selbst konzentriert zu sein.

Zwischen Realismus und Animation

Tatsächlich haben die Zeichner diesen Buck mit allem ausgestattet haben, was Hunde heute im Kino zu leisten haben. Lustig um Kurven schlittern, besorgte Gesichter ziehen oder blitzschnell in entschlossenes Handeln umschalten. Buck unterscheidet sich da keineswegs von anderen Animationsfilmen. Seltsam mutet hingegen an, dass er die einzig animierte Gestalt unter realen Schauspielern ist. Dadurch wankt „Ruf der Wildnis“ immer wieder zwischen Realitätsanspruch und der selbstgewählten Künstlichkeit. So, als wäre man im Entwurf steckengeblieben. Den realen Schauspielern hingegen räumt „Ruf der Wildnis“ ohnehin wenig Ausdrucksmöglichkeiten ein. Mit Harrison Ford, wohl die zweite Attraktion des Films, ändert sich das zwar, doch bis der alte Haudegen mit struppigen Haaren und einem Schnapsgesicht auftaucht, ist schon einiges Wasser den Klondike River hinuntergelaufen. Immerhin, Ford bringt etwas Tiefe in die Handlung. Wenn er über sein Leben zu sinnieren beginnt, gerät selbst der gute alte Buck ins Stocken. Am Ende wird dem Hund aber doch eine Freiheit zuteil, die sich im Film recht pathetisch und skurill ausnimmt. Bei Jack London dürfte sich das wohl anders lesen.