Anna Hints‘ preisgekrönter Dokumentarfilm „Smoke Sauna Sisterhood“ ist derzeit in den Vorarlberger Kinos zu sehen.
Gunnar Landsgesell · 07. Jul 2021 · Film

Risiken und Nebenwirkungen

Verfilmung des Theaterstücks "Die Niere" des Vorarlberger Autors Stefan Vögel: Unter der Regie von Michael Kreihsl entwickelt sich ein scharfzüngiger und äußerst komischer Reigen zwischen zwei befreundeten Paaren. Ist man als Ehemann moralisch verpflichtet, seiner Frau eine Niere zu spenden?

Das blöde an der Niere ist: Man hat zwei. Das gilt zumindest für diesen Film. Denn eigentlich könnte man seiner Ehefrau, die dringend eine Spenderniere braucht, eben eine spenden. Das will Arnold (Samuel Finzi) aber nicht. Auch wenn er, ein Meister des Lavierens, das so nicht ausspricht. Seine Frau Kathrin (Inka Friedrich) ist nicht wehleidig und taktisch auch nicht von Gestern. Er müsse ja nicht, sagt sie zu ihm. Aber da liegt schon einiges in der Luft. 
Michael Kreihsl hat ein Theaterstück des Vorarlberger Theaterautors und Kabarettisten Stefan Vögel adaptiert und verfilmt: „Die Niere“. Schon der Titel hat etwas Komisches, wenngleich nicht Existenzielles. Es geht schließlich nicht um das Herz. Kreihls hat den Titel etwas erweitert: „Risiken und Nebenwirkungen“ bringen ein Paar zunehmend aus der Balance. Die Routinen gehen flöten, sobald der Tanz um die Niere beginnt. Arnold und Kathrin sind ein wohlhabendes Paar. Er arbeitet als Architekt und spiegelt sein Ego vor allem an seinen Projekten. Sein jüngstes ist ein ziemlich hoher Büroturm, dessen Modell er zuhause auf dem Tisch stehen hat. Er kann es mit der Fernbedienung jederzeit beleuchten. Seine Frau ist Pilates-Trainerin und ansonsten recht geradlinig. Als sie von der Diagnose erfährt, wirkt sie zumindest gefasst. Zwischen beiden entwickelt sich ein Spiel, in dem dem gesprochenen Wort kaum mehr zu trauen ist. Zuwarten, taktieren, triumphieren. Kreihsl inszeniert die Ehekrise als komödiantisches Katz-und-Maus-Spiel, in dem sich der Vertrauensverlust zuerst harmlos-komisch, dann zunehmend zur spitzen Groteske entwickelt. Noch verwickelter wird das durch ein zweites, befreundetes Paar: der gutmütige Götz (Thomas Mraz) bietet seine Niere Kathrin bereitwillig an, was seine Partnerin Diana (Pia Hierzegger), zugleich Kathrins Freundin, gar nicht goutiert. Der Druck auf Arnold steigt, und auch sonst kommt da noch einiges ans Tageslicht.

Kammerspiel mit beissendmn Witz und psychologischer Schärfe

Kreihsl erweist sich einmal mehr als Spezialist für komische Inhalte, die er punktgenau inszeniert. Nicht verblödelt, aber dennoch ungemein witzig und bissig zieht er das Netz um seine vier Akteure zusammen. Zwischen pflichtschuldigen Freundschaftsbekundungen und insgeheimen Kränkungen ist es da nicht weit. Kreihsl kann auf eine pointierte Vorlage zurückgreifen, vor allem aber auch auf den Spielwitz seines Casts vertrauen. Inka Friedrich ist eine Schauspielerin mit großer mimischer Spannung, sie kann auch ohne Dialoge die Luft zum Schneiden dick machen. Samuel Finzi wirkt, als hätte er nie eine andere Rolle gespielt als die des strauchelnden Mannes, dessen moralische Haltung zum Dauerbrenner taugt. Als Quartett, das sich mit allen Mitteln der psychologischen Kriegsführung bedient, funktioniert der Film wie ein Kammerspiel im gehobenen bürgerlichen Milieu, in dem die Wahrheit erst als letzte Konsequenz der Ausweglosigkeit beschritten wird. Dazu passend findet Kreihsl auch Zeit, sich von anderer Seite an die saturierten Wohn- und Lebensverhältnisse anzunähern. Etwa über die Haushälterin vom Balkan, die – immer irgendwo präsent – wischt und kehrt. Auch wenn sie manchmal das Plastik in die falsche Tonne wirft.
„Risiko und Nebenwirkungen“ ist kein ernster, aber ein ernsthafter Film. Michael Kreihsl („Heimkehr der Jäger“, „Charms Zwischenfälle“) ist ein Regisseur, der immer wieder auch für das Theater arbeitet, das spürt man beim Timing des Films. Mit Wolfgang Thaler hat er einen Kameramann an der Seite, der es versteht, Raum und Akteure so ins Bild zu setzen, dass daraus die Bruch- und Spannungslinien spürbar werden. Das hatte zwischen Kreihsl und Thaler schon bei einer anderen Theaterverfilmung, Daniel Glattauers „Die Wunderübung“ (2018) gut funktioniert.