Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Gunnar Landsgesell · 01. Jul 2021 · Film

Der Spion

Als die Sowjetunion Raketen auf Kuba stationierte, kam es zur Krise mit den USA. "Der Spion" erzählt von zwei Männern, die für den Westen spionierten und dabei zu einer Entschärfung beitrugen. Ein Film zwischen persönlichem Drama und Agentenkrimi.

Kann es sein, dass sich das Kino in jüngster Zeit stärker auf "wahre Geschichten" stützt und dabei auf das Potenzial zeithistorischer Figuren setzt? Diese Woche läuft in den deutschen Kinos "Judas and the Black Messiah" an, der die berüchtigte Ermordung des Black Panther Führers Fred Hampton durch das FBI 1969 aufrollt. (Wann startet Warner den Film in Österreich?) Die Hintergründe zur so genannten "Kubakrise" greift hingegen der Agentenfilm "Der Spion" (Originaltitel: "The Courier") auf. Sie jährt sich dieser Tage zum 60. Mal. Damals errichtete die Sowjetunion in einer geheimen Aktion eine Raketenbasis auf Kuba und es sollen zwei Männer gewesen sein, die schließlich zur Deeskalation des Kalten-Kriegszwischenfalls beigetragen haben. In "Der Spion" wiederholt sich noch einmal die ungewöhnliche Begegnung der beiden Herren: Greville Wynne (Benedict Cumberbatch) ist ein unauffälliger Geschäftsmann und Familienvater Anfang der 1960er Jahre in London, den gerade deshalb die Auslandsgeheimdienste MI-6 und CIA anwerben. Sie bringen ihn mit dem sowjetischen Oberst und Familienvater Oleg Penkowski (der österreichische Schauspieler Merab Ninidze) in Kontakt, der das Raketenprogramm für den Westen in der Überzeugung ausspionierte, etwas für den Weltfrieden zu tun. Aus den im Film gezeigten Motiven lässt sich das nicht unbedingt herauslesen, da beide Figuren und ihr Familienleben trotz der Spieldauer von fast zwei Stunden recht vage bleiben. Deutlich wird aber, dass die Art Freundschaft der beiden durch den konspirativen Charakter ihrer Beziehung und die kulturellen Gegensätze rudimentär bleiben muss.

Bisschen zwischen den Stühlen

Man merkt der Inszenierung von "Der Spion" an, dass Regisseur Dominic Cooke vom Theater kommt. Auffällig ist, dass er auf die übliche Arithmetik von Agentenfilmen verzichtet und mit seinem gepflegten Erzählstil stimmig in die Zeit der frühen Sechziger Jahre eintaucht. Eine Zeit, in der Frauen von den Herren noch Komplimente gemacht wurden, wo beim Essen noch geraucht wurde und wo die Ehefrau mit Kind noch auf den Familienernährer gewartet hat, bis er am Abend von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Cooke scheut sich aber auch nicht davor zurück, Ost und West mit einer leicht zuordenbaren Atmosphäre zu versehen. Sobald die Handlung nach Moskau wechselt, herrscht fast Gefängnisstimmung. Graue Fassaden und ebensolche Menschen erzählen vom größtmöglichen Gegensatz zur Freiheit bzw. Dekadenz des Westens. Folgerichtig treffen sich Wynne und Penkowski zuerst auch im streng hierarchischen Bolshoi Theater, um sich kurz darauf zwischen grellen Neonschriftzügen von "Rip-off-Bars" und Twist-tanzenden Menschen wieder zu begegnen. Schade andererseits, dass Cooke diese recht unterschiedlichen Leben seiner zwei Protagonisten nicht mehr auszugestalten vermag. So wechselt man, nicht langweilig aber auch nicht besonders prägnant, zwischen rudimentären Familienleben, schattenhaften MI-6 und CIA-Mitarbeitern und zwei Männern, die ihre eigenen Erzählpotenziale haben oder hätten. Der russische Oberst, der aus politischen Gründen zum Verräter wird und sein Leben riskiert; und der farblose Geschäftsmann, der wo hineingeraten ist. Und dem man nun zusehen kann, wie er sich selbst nun immer ein bisschen mehr als Agent fühlt. Wenn Wynne beginnt, ein paar Liegestütz zu machen, dann liegt feine Ironie in diesen Bildern. Dass Cooke aber auch dichter und schärfer formulieren kann, entpuppt sich im letzten Drittel des Films, wo die nachtschwarzen Bilder von einer fast existenziellen Verzweiflung berichten. Als das semiprofessionelle Duo decouvriert wird, landet Wynne im Schlund des Moskauer Gefängnisapparats, ganz auf sich und seine Psyche gestellt. Der lange vorherrschende freundliche Abenteuercharakter des farblosen Briten weicht hier einem Gefühl, das vielleicht auch der realen historischen Figur von damals entspricht. Als Zuseher fühlt man sich trotz des starken Finish ein bisschen zwischen den Stühlen, zwischen persönlichem (Familien-)Drama, Agentenfilmgenre und Politthriller, der aber nicht zu komplex werden möchte.