Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 08. Apr 2022 · Film

Rimini

Universen des Elends, dafür ist Ulrich Seidl bekannt. In „Rimini“ folgt er einem abgehalfterten Schlagerstar in dem verschneiten Urlaubsort an der Adria. „Rimini“ bietet nichts Neues, Hauptdarsteller Michael Thomas verleiht dem Film aber eine gewisse Intensität.

Wie ein müde gewordener Büffel zieht Richie Bravo (Michael Thomas) seine Kreise durch Nebel und Schnee im verlassenen Urlaubsort. „Rimini“ zeichnet die Spuren seines Protagonisten ähnlich der Monotonie gefangener Zootiere, viel gibt es hier nicht mehr abzugrasen. Ein Auftritt in einer Hotellobby vor einer Handvoll Senioren, vor allem Seniorinnen, danach Liebesdienste für ein Handgeld, ein Teil der Einnahmen wird in Glücksspielautomaten und Branntwein investiert. In Richies Haus mit dem Achtzigerjahre-Flair ist die Zeit eingefroren, Plakate an den Wänden erinnern an bessere Zeiten. Mit „Rimini“ erweist sich Ulrich Seidl einmal mehr als Garant für eingelöste Erwartungen. Als Spezialist für Devianz, soziale Niederungen, aber auch das Gloriose im Elend zeigt Seidl in der Geschichte des abgehalfterten Schlagersängers garantiert nichts, was man nicht schon kennen würde. Fasziniert könnte man vielmehr von Seidls Obsession selbst sein, in den Kellern, den Hinterzimmern, den Halbschatten noch eine Spielart menschlichen Niedergangs hervorzukitzeln. Das Schlager-Genre, eigentlich eine Plattitüde, scheint sich für geliehene Gefühle, für das hohle Pathos und das Geschäft mit der Sehnsucht ideal anzubieten. Eigentlich erstaunlich, dass Seidl erst Jahrzehnte später beim Schlager landet. „Rimini“ ist dramaturgisch schlicht, genau dadurch stellt sich aber mit Fortlauf der Erzählung ein gewisser Reiz des Films ein. Je länger man Richie mit der schulterlangen, schon etwas schütteren Haarmähne, der Halskette und der alk-verlegten Stimme folgt, wenn er seinen massigen Körper im Bett zum Einsatz bringt oder bei seinen Auftritten mit Elvis-Schwung einer älteren Dame präsentiert, umso wirksamer scheint Seidls Ansinnen zu werden, Richies Publikum auf das des Kinos zu erweitern. Michael Thomas lebt diese Rolle, ein derbes Schwein, das auch zärtlich kann, mal schmetternd auf der „Bühne“, dann im Schmerz versenkt – man kann sich kaum vorstellen, dass Thomas im Theater auch andere Rollen spielt. Es gibt Dokumentarfilme, die mit Figuren wie Richie einen Blick hinter die Kulissen werfen wollen. Bei „Rimini“ gibt es aber gar keine Kulisse, der Trostlosigkeit gehört die Bühne selbst. Dessen ungeachtet wird Richie hier periodisch als Tröster inszeniert, für alle, die das glauben wollen. Die Abgeklärtheit, mit der Seidl das filmt (Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz; Kamera: Wolfgang Thaler), ist zweifellos ein Alleinstellungsmerkmal.

Ein halber Familienfilm

Eigentlich sollte „Rimini“ ja „Böse Spiele“ heißen und von zwei Brüdern erzählen. Der zweite heißt Ewald und tritt in Person von Georg Friedrich hier nur kurz auf. Die gemeinsame Szene im Untergeschoss ihres Waldviertler Elternhauses wirkt wie eine Prelude für später: man sauft sich nieder und zeigt keine Scheu vor Infantilität. Nicht zum ersten Mal wuchs sich bei Seidl der Dreh aus, weswegen er zwei Filme aus dem Material machte. „Rimini“ ist stimmig, aufgrund der Zweiteilung aber auch ein halber Familienfilm. In kurzen Ausflügen begleitet man Richie zu seinem dementen Vater (Hans-Michael Rehberg, der gegen Ende des Drehs verstarb), der in einem Pflegeheim nur selten aus der Dämmerung erwacht. Eine urkomische Szene ist, wenn Rehberg im Rollstuhl das „Deutschlandlied" anstimmt, während Richie hinter ihm „Amore" zu schmettern beginnt. Dass mitten im Film überraschend auch eine junge Frau (Tessa Göttlicher) auftaucht, die Richies vernachlässigte Tochter ist, bricht die narrative Patina des Solo-Unterhalters etwas überraschend auf. Sie fordert Geld für die Abwesenheit des Vaters, und der alte Kerl versucht in seinem Leben doch noch etwas gut zu machen. Hier findet sich ein fast tröstliches Moment. Das erschüttert das Seidl’sche Universum des Elends keineswegs, aber lässt einen Anflug von Witz zu. Das ist neu.