Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Gunnar Landsgesell · 10. Mär 2017 · Film

Moonlight

Ein kleiner schwarzer Junge am harten Pflaster von Liberty City, Miami, findet in drei großen Zeitsprüngen Zugang zu seinen eigenen Gefühlen. Achtfach Oscar-nominiert und als bester Film mit dem Oscar ausgezeichnet, ist "Moonlight" ein Werk, das schwarze Repräsentationen zu brechen weiß und mit einer klug formulierten Innerlichkeit die Realität neu zu fassen versteht.

Ein Drogendealer Mahershala Ali (Oscar für beste Nebenrolle), der sich als sensibler Ersatzvater entpuppt, und ein Protagonist (Chiron, dessen Zögling), der am Ende des Films im G-Style mit „Fronts“ (goldenen Zähnen) und schwerem Goldschmuck auftaucht, und seine Homosexualität letztendlich zulässt – „Moonlight“ ist ein Film, der übliche Repräsentationen, insbesondere die des Kinos und Schwarzer Menschen, zu brechen weiß. „Moonlight“ ist aber auch ein Film, der um eine adäquate Bildsprache für den Ort, von dem er erzählen möchte, bemüht ist: von Liberty City im Großraum Miami, wo einem oftmals eine härtere Gangart begegnet. Regisseur Barry Jenkins, selbst in Liberty City aufgewachsen, greift auf traumähnliche, versonnene Bilder zurück, die den Eindruck der Ghetto-Ästhetik maximal konterkarieren, die vor allem aber auch dem Zuseher ermöglichen, tief in die Hauptfigur dieses Films abzutauchen. Dabei scheut sich Jenkins nicht, seinen Protagonisten Chiron mit drei verschiedenen Schauspielern zu besetzen. „Moonlight“ ist in drei Kapitel des Erwachsenwerdens gegliedert, und jeder der drei Erstlings-Schauspieler weiß auf seine Weise neue Facetten in die Figur zu übertragen: Alex R. Hibbert als von der Crack-abhängigen Mutter vernachlässigter kleiner Bub; Ashton Sanders als Schüler, der von anderen gemobbt wird; und Trevante Rhodes in einem weiteren Zeitsprung als muskelbepackter Chiron mit Gefängniserfahrung, der nun in einer zwiespältigen Wiederbegegnung mit einem Schulfreund Zugang zu seinen Gefühlen findet. Auch wenn die Rahmenhandlung äußerlich recht grimmig klingt, so versteht sich Jenkins auf beeindruckende Weise darauf, die Realität aus der inneren Verfasstheit seiner Figuren heraus zu formulieren. In den sonnendurchfluteten oder auch nachtblauen Bildern, durch die der Held des Films wandert, immer zugleich ein Außenseiter in der Schwarzen Community, findet sich ein Hauch von jenem kleinen afro-amerikanischen Jungen, dem Regisseur David Gordon Green in „George Washington“ (2000) - wie eine Schutzhülle in einer räudigen Umgebung - eine traumbeseelte Wahrnehmung seiner Umwelt geschenkt hatte. Auch „Moonlight“ hält die Macht der Träume hoch, findet in der Sprachlosigkeit eine Schönheit, macht aus der Beschämung letztlich eine Tugend und lässt einen Mann, der ansonsten raue Drogengeschäfte führt, den jungen Chiron in seinen Armen in den Wellen des Meeres schaukeln, weil diesem noch niemand das Schwimmen beigebracht hat. Die Ambiguität der Figuren bringt einen unverhofften, schillernden Reichtum in diese Erzählung ein, man hat das Gefühl, hier wagt sich wieder jemand auf ein Stück Neuland. Statt des Zelebrierens von Maskulinität treibt "Moonlight" sein munteres Spiel mit den Unwahrscheinlichkeiten dieser Welt.