„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Gunnar Landsgesell · 23. Okt 2020 · Film

Liebe war es nie

Der Dokumentarfilm erzählt die unwahrscheinliche Liebesgeschichte des Wiener KZ-Offiziers Franz Wunsch und der jüdischen Gefangenen Helena Citron in Auschwitz. Nichts ist hier eindeutig bis auf die bizarre Liebelei des Totenkopf-SSlers Franz Wunsch, der an der Rampe die Ankommenden in die Gaskammern selektierte.

Ist eine Liebesbeziehung, zumal eine "romantische" (Presseheft), zwischen einem SS-Offizier im Vernichtungslager Auschwitz und einer jüdischen KZ-Gefangenen tatsächlich möglich? Die Einschätzung differiert auch Jahrzehnte später bei den Shoa-Überlebenden: "Sie hat ihn auch geliebt", glauben einige Frauen, die mit Helena Citron, so der Name der "Geliebten", in der gleichen Arbeitseinheit waren. Eine andere Zeitzeugin meint, "Was für eine Liebe? Wenn du am Verhungern bist..." Und wieder eine andere Shoa-Überlebende sagt: "Er hielt sich eine jüdische Hure." Der Dokumentarfilm "Liebe war es nie" der israelischen Regisseurin Maya Sarfiat, produziert von Kurt Langbein, rekonstruiert anhand von Gesprächen mit Leidensgenossinnen der slowakischen Jüdin Helena Citron eine Beziehung, die eigentlich nur einen Denkschluss zulässt. Hier reagierte eine Frau auf die bizarre Verliebtheit eines KZ-Aufsehers, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Doch die Geschichte des Films wird komplexer, verästelt sich in mehrere Richtungen. Züge eines Psychogramms ergeben sich aus den Beschreibungen des Wiener SS-Offiziers Franz Wunsch, der sadistische Züge auslebte und wahllos Menschen prügelte, aber der attraktiven Jüdin Helena Citron zugetan war. Zugleich war Wunsch an der Rampe für die ankommenden Frauen, Männer und Kinder zuständig, die er selektierte. Die Schwachen wurden in LKWs verladen und direkt in die Gaskammern gebracht. Auch Wunsch selbst kommt zu Wort, Auszüge aus einem Video von 2003, wo er sich an einem Sommertag in kurzen Hosen in anekdotischem Tonfall als "Retter" seiner KZ-Freundin und ihrer Schwester brüstet. Die kleinen Kinder der Schwester hingegen wurden vergast, er konnte eben nicht alle retten. Die Baracke von Citrons Arbeitseinheit grenzte direkt an das Krematorium an, wo deren Familie und Abertausende Menschen getötet wurden. Dass die Liebesgeschichte dieses Films in Wahrheit eine des Grauens ist, wird mit jeder Episode deutlicher.

Sadist und "Lebensretter"

Um die gespenstische Konstellation dieser Beziehung zu verdeutlichen, wählte Regisseurin Sarfiat nachgestellte Szenerien aus, in denen sie Personen aus ausgeschnittenen Fotos gruppiert. Ein probates Mittel, um zu zeigen, wie Menschen zu Figuren degradiert wurden, über die die Nazis verfügen konnten. Aufschlussreich ist aber auch, wie der Film seinen Handlungsfäden über 1945 hinaus folgt. Die Shoa-Überlebenden verfolgte das Erlebte auch im neu erkämpften Staat Israel, während man in Österreich davon nichts mehr wissen wollte. Nur Franz Wunsch ließ über das Internationale Rote Kreuz nach seiner Geliebten suchen, und wunderte sich, ob sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle. Als es 1972 zum Prozess gegen Franz Wunsch kam, Helena Citron hatte in Israel längst eine Familie gegründet, kam sie im denkbar größten inneren Widerstreit nach Wien, um auszusagen. Wunsch, der wohl Tausende in den Tod schickte, wurde freigesprochen. Erschütternd, wie der damalige Richter und einer der Geschworenen retrospektiv im Film zu Wort kommen. Der Richter erinnert sich, es sei damals äußerst "schwierig" gewesen, einen Schuldspruch für einen Nazi-Vebrecher zu erwirken. Und der Geschworene erinnert sich überhaupt an einen "sympathischen", "bescheidenen" Mann. "Man war sehr früh auf seiner Seite", so der Mann. Die Geschworenen blieben angesichts der industriellen Judenvernichtung, der Selektion und Gaskammern ungerührt, wie ein Foto aus dem Gerichtsaal belegt: versteinerte Mienen. "Liebe war es nie" mag von einem höchst unwahrscheinlichen Fall seinen Ausgang nehmen, ruft aber viele Details und die potenzielle Verdrängung eines Teils unserer Geschichte neuerlich ins Gedächtnis. Bitter auch der Abspann. Der engagierte Filmemacher und Produzent Kurt Langbein ist der Sohn des Historikers und Spanien-Kämpfers Hermann Langbein. Dieser hatte in den 1960er Jahren gemeinsam mit Simon Wiesenthal 80 SS-Offiziere wegen ihrer Verbrechen angezeigt. Nur vier Fälle kamen vor Gericht. Alle wurden freigesprochen und gingen ungehindert weiter ihren Karrieren nach. Auch das zeigt den Wert von Dokumentarfilmen wie diesem.