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Gunnar Landsgesell · 09. Okt 2019 · Film

Joker

„Joker“ hat dem Gegenspieler von Batman eine Biographie angedichtet, die erzählt, wie aus einem jungen Mann im schäbigen New York aka Gotham City der 1970er Jahre ein mörderischer Außenseiter wurde. Ein Fest für Joaquin Phoenix und seine Anhänger und ein Manifest der Selbstbezüglichkeit.

Es gibt nicht wenige Leute, die den weißen Clown als unheimlich und gar nicht lustig empfinden. Mit „Joker“ werden sie gewissermaßen bestätigt: Der weiße Clown heißt Arthur (Joaquin Phoenix), ist Bewohner einer schäbigen Wohnung in einer noch schäbigeren Großstadt der 1970er Jahre namens New York, im Batman-Zyklus als „Gotham City“ bekannt. Wo er auch unterwegs ist, erscheint er fehl am Platz. Es ist die Erzählung eines klassischen Außenseiters, wie sie etwa auch nach Schulmassakern in den USA immer wieder in den Medien auftaucht. Der Joker als armes Würstchen, das aus Gram zum bösen Buben und zynischen Gegenspieler des humanistisch motivierten Publikumslieblings Batman wird, ist zugleich der naheliegendste und am wenigsten überraschende biographische Hintergrund für all jene, die sich jemals diese Frage nach der Entwicklungsgeschichte der Figur gestellt haben. Nun gut, mit Joaquin Phoenix wurde immerhin ein Spezialist für filmische Grenzgänge gefunden, der dem Method-Acting offenbar noch eine Chance geben möchte. Phoenix irrlichtert wie ein Kobold durch den Film, legt in jeder Szene sein schauspielerisches Gewicht hinein, während man selbst sich fragt, worin der Zweck dieser beeindruckenden Trockenübungen bestehen mag. Die Inszenierung von Regisseur Todd Philipps, der noch mit „The Hangover“ einen Nerv der Zeit getroffen hat, tut sich letztlich schwer, ihrer Comicfigur eine Erdung zu verleihen. Dieser Joker hat wenig mit dem faschistoiden Titelhelden aus „Taxi Driver“ und auch nicht viel mit „King of Comedy“ zu tun, deren Geschichten eine klare gesellschatspolitische Haltung erkennen lassen. Eher erinnert Philipps Film an die soziopathische Hauptfigur Figur aus „Nightcrawler“, in dem ein lange missachteter, zurückgewiesener Jake Gyllenhaal zum hundsgemeinen Einzelgänger wird. Der Unterschied: Im Fall von Gyllenhaals Figur ist die Eruption der Gewalt einem erkalteten Gefühlshaushalt geschuldet, im Fall von "Joker" gehen schlüssige psychologische Muster im Zynismus des Films schlicht verloren. So einiges wirkt unstimmig, der von Robert De Niro gespielte Late-Night-Host, den Phoenix als Clown in einem Nachtclub zum Vorbild erkoren hat, zählt auch dazu.

Vom Hype getrieben

In den USA löste „Joker“ heftige Kontroversen aus. Die Story-Consulterin Heather Antos teilt auf Twitter das Posting einer Kollegin, die schreibt, warum sie ein Problem mit „Joker“ hat. Sie wolle keinen Film sehen, in dem ein gutmeinender junger Mann so lange schikaniert wird, bis er als Massenmörder endet. Und sie wolle keinen Film sehen, der diesem Mann zusieht, wie er solange von Frauen zurückgewiesen wird, bis er am Ende zum Täter häuslicher Gewalt wird. Auch wenn der Film solche Lesarten nicht wirklich hintertreibt, ließ Regisseur Todd Philipps über „linke Medien“ und eine "Woke-Kultur", bei denen er die Quelle kritischer Reaktionen ortet, bereits seinen Unmut aus. Dabei fehlt dem Film eine echte Haltung, „Joker“ ist expressiv um jeden Preis, er ist auf Kontroverse ausgelegt, und er wirkt zum Teil zitathaft. Diese Figur kennt keinen gesellschaftlichen Referenzrahmen, sondern willkürlich erschaffen, sie wirkt wie aus einem Comic entsprungen. Da mag Phoenix noch so sehr sein diabolisches Gelächter einsetzen und eilig per Handkamera eingefangene Tango-Szenen hinlegen, nachdem er seine blutige Spur gezogen hat: Über seinen selbstbezüglichen Tonfall kommt der „Joker“ letztlich nicht hinaus. Ein It-Boy, der ausser sich selbst keine besonderen Botschaften hat. Auch wenn die schauspielerische Leistung von Phoenix zweifellos beeindruckend ist, ist die Frage, was von diesem postmodernen Werk bleibt, wenn der Hype vorbei ist.