John Rabe
Als die Japaner 1937 China überfielen, konnte der Hamburger Kaufmann und überzeugte Nationalsozialist John Rabe in Nanking zusammen mit anderen Ausländern die Errichtung einer vier Quadratkilometer großen neutralen Sicherheitszone durchsetzen, durch die das Leben von mehr als 200.000 Menschen gerettet wurde. – Florian Gallenberger erhebt mit Ulrich Tukur in der Titelrolle den „Oskar Schindler Chinas“ zum reinen Helden.
John Rabe, 1882 in Hamburg geboren, arbeitete ab 1911 bei Siemens China Co., einer Tochtergesellschaft des deutschen Siemens-Konzerns. 1931 wurde er Geschäftsführer der Firma, die ihren Sitz in der damaligen chinesischen Hauptstadt Nanking hatte. Im Dezember 1937 soll der überzeugte Nationalsozialist abgelöst und der Betrieb von seinem Nachfolger aufgelöst werden. Doch just zu diesem Zeitpunkt rücken die Japaner gegen Nanking vor. Weil der deutsch-jüdische Botschaftsmitarbeiter Dr. Rosen (Daniel Brühl) von japanischen Massakern und Massenvergewaltigungen bei der Einnahme Shanghais berichtet, beschließt eine Gruppe von in Nanking lebenden Ausländern eine neutrale Sicherheitszone zu errichten und wählt Rabe zum Vorsitzenden des Komitees.
Viel Ausstattung, wenig Atmosphäre
Was vor dem Dezember 1937 und was nachher passierte, die politische Sozialisation Rabes interessiert den 1972 geborenen Münchner Florian Gallenberger, der 2001 mit dem Kurzfilm-Oscar für „Quiero Ser“ auf sich aufmerksam machte, in seinem nach „Schatten der Zeit“ (2004) zweiten Spielfilm nicht. Aufbauend auf Rabes Tagebuch, aus dem Ulrich Tukur, der mit seiner zurückhaltenden Darstellung der Titelfigur das Zentrum des Films ist, immer wieder zitiert, rekonstruiert Gallenberger die damaligen Ereignisse und versucht mit eingeschnittenen schwarzweißen Archivaufnahmen, die immer wieder in die farbige Spielfilmhandlung übergehen Authentizität und Atmosphäre erzeugen, den Zuschauer ins Geschehen hineinzuziehen.
Zwangsläufig scheitert dieses Bemühen aber schon einmal an der sprachlichen Glättung, die zumindest die deutsche Synchronfassung kennzeichnet. Wenn in einem multikulturellen Milieu Rabe mit Chinesen und Japanern, Amerikanern, Briten und einer Französin, aber auch die japanischen Militärs untereinander in der gleichen Sprache – in diesem Falle in Deutsch – sprechen, dann macht dies den Film zwar einerseits massentauglichr, andererseits aber auch zu ziemlich sterilem Ausstattungskino ohne wirkliches Leben.
Einfache Figurenzeichnung, naive Erzählweise
Schlimmer aber noch ist, wie einfach es sich Gallenberger bei der Figurenzeichnung und Handlungsentwicklung macht. Da ist Rabe zunächst zwar mal der Herrenmensch, der in den Chinesen Kinder sieht, die man richtig führen muss, doch ist er auch dabei „der gute Nazi“ wird ihm doch in seinem Nachfolger ein wirklich fieser Nazi gegenüber gestellt. Zum „Guten“ machen ihn auch die Szenen mit seiner Frau Dora, die er noch auf einem auslaufenden Ozeandampfer in Sicherheit bringen will, während er sich selbstlos der Rettung der Chinesen zuwendet. Diese bekommen aber – von seinem Fahrer Chan, seinem Sekretär Han und einer jungen fotografierenden Frau mal abgesehen – keine Gesichter, sondern bleiben bloße Masse, die dazu dient den Stern Rabes heller leuchten zu lassen und ihn im Finale mit begeisterten Zurufen zu verabschieden. - Unterstützt von einer Musiksauce, bei der die Streicher den Ton angeben, wird da immer wieder mächtig auf die Tränendrüsen gedrückt.
So wenig dieser John Rabe in der Inszenierung Gallenbergers Ambivalenzen gewinnt und ein reiner, aber auch fader Held bleibt, so fern bleiben einem auch seine Helfer – wie Anne Cosigny als Französin, die ein Mädcheninternat leitet, Daniel Brühl als deutsch-jüdischer Diplomat und Steve Buscemi als amerikanischer Arzt. Holzschnittartig dient die Figur Brühls dazu, den Zuschauer nicht vergessen zu lassen, dass es im Nationalsozialismus auch eine antisemitische Rassenpolitik gab, und in Buscemis Arzt ist der Zuschauerblick verankert: Wie der Amerikaner soll auch der Zuschauer – sofern er nicht von Anfang an auf Rabes Seite steht – zunehmend vom Humanismus dieses guten Deutschen überzeugt werden.
Dieser Strategie dient auch das Setzen dramatischer Höhepunkt, wie Rabes vermeintliche Flucht, die sich dann als selbstaufopfernde Rettungsaktion für Frau und Chinesen erweist, die positive Selektion von 20 Chinesen für seinen hingerichteten Fahrer oder die riskante Duldung der verbotenen Aufnahme von Soldaten in der Sicherheitszone sowie sein mehrfaches furchtlosen Auftreten gegenüber den Japanern.
Drastisch zeigt Gallenberger die Gräuel der Japaner, die Massenerschießungen von chinesischen Soldaten und Enthauptungen als ritterlichen Wettkampf. So martialisch und sadistisch sie dabei gezeichnet werden, so platt wird diesen Befehlshabern ein junger japanischer Offizier, der solche brutalen Aktionen verabscheut, gegenüber gestellt. - Mit differenzierter Darstellung hat das nichts zu tun, einzig mit der plakativen Botschaft, dass es auf beiden Seiten gute und böse Menschen gibt.
Mehr Fernsehen als Kino
Eindrucksvoll, weil mit Bildtraditionen brechend, ist zweifellos die historisch verbürgte Szene, in der Rabe zahlreiche Chinesen rettet, indem er sie unter einer Hakenkreuzflagge Zuflucht nehmen lässt und das mit Terror und Mord verknüpfte Symbol zum Lebensretter wird, da die mit Nazi-Deutschland verbündeten Japaner diesen Platz nicht angreifen. Doch diese Szene bleibt eben die Ausnahme in einem Film, der viel zu glatt und auf oberflächliche Schilderung der Ereignisse hin inszeniert dahinplätschert ohne auch nur eine Figur, ein Motiv oder eine Szene zu verdichten, komplexer zu entwickeln und tiefer auszuloten. – So schaut kein Kinofilm aus, sondern – man sieht dem Film in jeder Szene an, dass er von zahlreichen Fernsehstationen coproduziert wurde – durchschnittliches Bildungsfernsehen, bei dem es nicht um eine formale und inhaltliche Bewältigung des Themas, sondern einzig um die leidlich unterhaltsame und emotionalisierende Vermittlung einer „True Story“ geht. Übersehen werden darf dabei freilich nicht, dass Gallenberger immerhin ein Kapitel der Geschichte und einen Menschen, der bis zur Veröffentlichung seiner Tagebücher im Jahre 1996 nahezu vergessen war, einem großen Publikum nahe bringt.
Läuft derzeit im Cinema 2000 in Dornbirn