Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Gunnar Landsgesell · 17. Sep 2021 · Film

Hochwald

Ein Dorf in Südtirol, in dem der Außenseiter Mario nach dem Tod seines Freundes Lenz zunehmend unter Druck gerät. "Hochwald" interessiert sich für die Bruchlinien zwischen einem jungen Mann auf der Suche und einer dörflichen Ordnung, die wenig Freiräume lässt. Politischer Terror, sexuelle Orientierung und religiöser Aktivismus triggern die Verwerfungen zusätzlich.

Die Fahrt mit der Gondel steil hinab „in die Stadt“ nach Bozen zeugt von einer gewissen Enge der Landschaft und des Klimas. Selbst in der Gondel wird Mario noch angesprochen auf sein Außenseitertum. „Hochwald“ ist kein Film, der dem Publikum viel Resonanzraum lässt. Dicht beschriebene Szenen sozialer Kontrolle schnüren nicht nur dem Protagonisten zunehmend die Kehle zu. Freiräume, Verständnis, ein größerer Horizont scheinen den Bewohnern des titelgebenden Ortes vollständig zu fehlen. Das erweist sich dramaturgisch als durchaus wirksam: Hier Mario, ein junger Bursche, der seinen Platz noch nicht gefunden hat; dort Hochwald, ein Dorf, das ihm diesen nicht zusprechen will. Es ist wie ein Duell, in dem ein Dorf mit seinem Ballast an patriarchaler Ordnung einen jungen Suchenden einmal ausspeit und dann wieder verschlingt. Als Ausgangspunkt für dieses schwierige Verhältnis setzt die Südtiroler Regisseurin Evi Romen ein tragisches Ereignis: Mario (Thomas Prenn) verliert seinen engen Freund Lenz (Noah Saavedra), der nach Wien zum Studium gegangen ist und nun für Weihnachten zurück ist, bei einem islamistischen Attentat. Eine erotische Beziehung, die im Dorf geheim bleiben musste, erschwerte deren Verhältnis und führt nach dem Tod zu neuen Bruchlinien. Gerüchte kommen auf, und auch Beschuldigungen: „Warum ist Lenz tot – und nicht du?“, fragt die Mutter von Lenz Mario.

Vielleicht: doch noch Hoffnung

Romens Konstellation des Außenseiters in der Provinz kommt einem bekannt vor: der Miserabilismus und beißende Sarkasmus als Grundton österreichischer Dramen scheint sich bis nach Südtirol zu verlängern. Aufgebrochen wird das durch die Figur von Mario: er tanzt expressiv in der Disco oder droht dabei auf dem Tresen abzustürzen. Hier schimmert eine andere, unsichere, sehnsüchtige Welt durch. Der Score mit melancholischen Songs aus dem Italien der 1960er Jahre (Auswahl: Flo Horwath) verstärkt diesen Eindruck. Doch in "Hochwald" ist eine erfolgreiche Flucht unmöglich, die Konflikte müssen vor Ort ausgetragen oder auch nur ertragen werden. Da kommt im Lauf der Handlung einiges zusammen: die queere Hauptfigur mit einem immerhin verständnisvollen Vater; die Devianz der sexuellen Beziehung zwischen den beiden Freunden, die bei (ihren) Freundinnen für Verdachtsmomente bis massive Unruhe sorgt; die soziale Schieflage zwischen Familien wie jener von Mario und den Reichen des Ortes; und schließlich eine Gruppe junger Muslime, die unten in Bozen beim Bahnhof gratis Koran-Ausgaben verteilen. Das kleine Dorf wirkt im Eindruck all dieser Ereignisse ein bisschen wie der Kondensationspunkt unserer Welt. Viel ist hier los. Evi Romen platziert ihren Protagonisten damit in einer Gesellschaft, in der es viele Strömungen, aber keine echte Anlaufstelle gibt. So wird "Hochwald" zu einer Coming-of-Age-Geschichte, in der die Entwicklung immer wieder ins Stocken gerät. Das gilt vor allem auch für die Beziehungen zwischen den Figuren, sie alle bleiben - notgedrungen - Stückwerk. Der Wald, die Berge, die doch gemeinhin für Entspannung stehen, bieten hier keinen mildernden Effekt. "Hochwald" bietet als Studie der Entfremdung, des vieldeutigen Schweigens, aber auch Hoffnung: vielleicht entsteht aus dem Chaos am Ende doch etwas Neues, das man als Heimat bezeichnen könnte.