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Gunnar Landsgesell · 09. Jul 2020 · Film

Harriet

Harriet Tubman ist eine Ikone in der Geschichte der Sklaverei der USA. Selbst versklavt, befreite sie nach ihrer Flucht Dutzende Menschen und verbrachte diese über die Fluchtroute, die so genannte "Underground Railroad", in den Norden. "Harriet" ist ein eher konventionelles Biopic, das mit einem Perspektivenwechsel dennoch überzeugt.

Fast knickt der Kongress des US-Bundesstaates Pennsylvania ein, als aus den Südstaaten immer mehr Sklaven in die rettende Freiheit des Nordens entkommen können. Man sollte mit den eigenen Aktionen etwas pausieren, meint man auch in der Gesellschaft, die sich für die Befreiung versklavter Menschen einsetzt. In diesem Moment hält Harriet Tubman ein flammendes Plädoyer dafür, weiterzumachen. „Ihr seid in Freiheit geboren und bequem geworden, ihr wisst gar nicht, was es heißt, Sklave zu sein.“ Kasi Lemons Verfilmung des Lebens der in den USA fast mythischen Figur Harriet Tubman hat nur ausgewählte Momente, in denen sich die Dringlichkeit ihrer Protagonistin spürbar bis zum Zuseher verlängert. Diese sind solche, in denen die britische Schauspielerin Cynthia Erivo auch szenisch jenen Platz erhält, der Tubman historisch sicher ist. Vielfach findet man in „Harriet“ aber eine Frau vor, der man über die verschlungenen Wege einer Fluchthelferin folgt. „Underground Railroad“ nannten sie jenes Fluchtsystem, über das die Menschen unter Lebensgefahr in Sicherheit gebracht wurden. Harriet selbst ist als stille, antriebsstarke Anführerin gezeichnet, deren Wille sehr in Gott geerdet ist. Der afroamerikanische Drehbuchautor Gregory Allen Howard geht deutlich auf dieses Motiv ein. Harriet, die eigentlich Minty hieß, und sich nach ihrer Befreiung umbenannte, hat sich selbst den Decknamen „Moses“ für ihre Aktionen gegeben. Einmal ist zu sehen, wie sie eine Gruppe Schwarzer Menschen durch einen Fluss führt, auch wenn sich dieser nicht vor ihr teilt. Ob Drehbuchautor Howard (er lieferte sowohl für Disneys „Remember the Titans“ wie auch für das Biopic von Muhammad Ali die Vorlage) Harriets Tun zurecht mit so einer starken religiösen Verwurzelung zeigt, bleibt unklar, wirkt aber vor dem Hintergrund stimmig, zumal Tubman immer wieder in kurze Trancezustände verfallen sein soll. Ein weißer Mann verletzte das Kind am Kopf schwer, im Film werden diese Momente als göttliche Visionen, Vorhersehungen oder auch Erinnerungen in bläulichem Licht inszeniert.

All-American-Heroin 

Auch wenn der Film in den USA noch vor der Corona-Krise im Herbst letzten Jahres in den US-Kinos startete, darf er als interessanter Beitrag zur „Black Lives Matter“ Bewegung verstanden werden. Die Gewalt gegen die afroamerikanische Bevölkerung von der Sklaverei über Lynchings bis in das 20. Jahrhundert, die teils wie Volksfeste anmuteten und solche der Polizeigewalt stehen zweifellos in einer Linie, die sich bis heute fortsetzt. US-Präsident Barack Obama wollte Andrew Jackson am 20-Dollar-Schein durch Harriet Tubman ersetzen, Donald Trump hat das vorerst verhindert. Die Frau, die in den 1820er Jahren von der Plantage ihrer „Besitzer“ in Maryland nach Philadelphia geflohen war, etablierte sich später noch als einflussreiche Persönlichkeit. Im Sezessionskrieg führte sie als Schwarze Frau sogar eine eigene Truppe gegen die Konföderierten an. Das kommt in „Harriet“ nicht mehr vor. Kasi Lemons Biopic setzt aber an zentralen Punkten des US-Selbstverständnisses an. Freiheit als zentraler Wert in der Nation wird auch hier zum Angelpunkt. Teils pathosbeladen, wird Tubman so aber auch zu einer All-American-Heroin, die aus dem Kontext der Sklaverei heraustritt. Auch wenn einiges recht konventionell und wenig zeitgemäß wirkt – da die diabolischen Sklavenbesitzer, dort eine unglückliche Liebesgeschichte –, leistet der Film mit seinem Wechsel der Perspektive von der versklavten zur freien Frau einen interessanten Beitrag.