Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Walter Gasperi · 09. Jul 2020 · Film

Aktuell in den Filmclubs (10.7. - 16.7. 2020)

Das Filmforum Bregenz zeigt diese Woche mit "Ex Libris" Frederick Wisemans über dreistündigen Dokumentarfilm über die New Yorker Public Library. Beim Open-Air in Heerbrugg steht dagegen unter anderem Nora Fingscheidts furioses Debüt "Systemsprenger" auf dem Programm.

Systemsprenger: Einen sensationellen Erfolg nicht nur bei der Kritik, sondern auch beim Publikum feierte Nora Fingscheidt mit ihrem Spielfilmdebüt über ein schwieriges, wildes Kind, das seine Betreuer in höchstem Maße fordert.
Hautnah klebt die Kamera von Yunus Roy Imer an der von Helena Zengel sensationell gespielten neunjährigen Benni. Mit wilden Handkamerabewegungen, dynamischem Schnitt und schriller Musik kehrt Fingscheidt die Wut und Aggression ihrer jungen Protagonistin nach außen. Bildfetzen, die teilweise auf Farbkleckse reduziert sind, deuten den Einbruch traumatischer Erinnerungen an, die zu Bett nässen führen. Keine bewusst handelnde Person ist diese Neunjährige, sondern rastet im wahrsten Sinne des Wortes aus, ist mehr Opfer als Täterin.
Kein Wohlfühlkino ist das, sondern ein schonungslos realistisches und intensives Porträt. So sehr Benni dabei aber auch im Mittelpunkt steht, so genau ist doch auch Fingscheidts Blick auf die beteiligten Personen. Man spürt die Herkunft der 36-jährigen Regisseurin vom Dokumentarfilm und die intensive Recherche, für die sie sich fünf Jahre Zeit ließ.
Intensiv gelingt es Fingscheidt so auch, die durch die Aggression und Wut verdeckte tiefe Sehnsucht dieses Mädchens, das in der Sprache der Jugendhilfe als „Systemsprenger“ bezeichnet wird, nach Geborgenheit, Nähe und vor allem nach der Mutter spürbar zu machen. – Das ist kraftvolles Kino, das Sympathie und tiefes Mitgefühl nicht nur für Benni, sondern für solche wilden Kinder insgesamt weckt und auf sie in Zukunft vielleicht anders blicken lässt.
Open Air: Film am Markt, Heerbrugg:
Di 14.7., 21.30 Uhr


Ex Libris:
196 Minuten lang erkundet der 90-jährige Frederick Wiseman, der sich im Laufe seiner 50-jährigen Karriere als Dokumentarfilmer zum Spezialisten für die Untersuchung von Institutionen entwickelt hat, die New Yorker Public Library. Jedes verbalen Kommentars enthält er sich wie gewohnt und legt dennoch durch die Schwerpunktsetzung ein klares Statement zur Bedeutung der Bibliotheken ab.
"Public" und "social" sind dabei die zwei Worte, die zentral für diesen Film sind, denn immer wieder wird die Wichtigkeit des allgemeinen und öffentlichen Zugangs zu Bildung, aber auch die soziale Funktion dieser Institution betont, wenn nicht nur Lesungen und Diskussionen mit Künstlern wie Elvis Costello und Patti Smith, sondern auch Tanzkurse für Senioren oder Kurse für Kinder oder Diskussionen über Schriftsteller wie Gabriel García Márquez angeboten werden. Die Bibliothek ist damit auch ein Ort, an dem unterschiedlichste Menschen zusammenkommen, dient aber auch ganz einfach als Informationsstelle, bei der Anrufer von TelefonistInnen über Einhörner und anderes aufgeklärt werden.
Wiseman stellt die Bibliothek als Ort vor, in dem Ungleichheit aufgehoben werden kann, allen Zugang zur Informationen und Bildung möglich gemacht wird und sie so zu einer Säule der Demokratie wird. Aber auch organisatorische und budgetäre Fragen werden nicht ausgespart, im Zentrum steht jedoch immer die Bildungsaufgabe. Im Blick auf den Reichtum des Bestands dieser Bibliothek, die als eine der größten der Welt gilt, führt "Ex Libris" schließlich auch das immense Ausmaß menschlicher Leistungen, literarischer und künstlerischer, vor, die hier aufbewahrt werden – und als Basis und Inspiration für weitere Kunstwerke dienen.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 15.7., 20 Uhr


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