Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Gunnar Landsgesell · 03. Jul 2020 · Film

Brot

Brot als sinnliches Handwerk, das durch ökologische Landwirtschaft eine Renaissance erfährt. Und Brot als Produkt, das in Fabriken der Gewinnmaximierung dient. Regisseur Harald Friedl bezieht in diesem aufschlussreichen Dokumentarfilm über ein Grundnahrungsmittel explizit Stellung. Zurecht.

Eine sexuelle Erregung steht am Beginn dieses Films: Ein Mann - verschwitzter Körper, muskulös, in Schwarzweißbildern - packt einen Toastbrot-Block aus, knetet ihn dann plötzlich zu einem Klumpen, während das Stöhnen dazu recht eindeutig klingt. Die Beziehung zu Brot kann also durchaus sinnlich sein, wie diese kurze, ironische Eingangsnotiz einen vermuten lässt. Tatsächlich skizziert der informative und hochpolitische Dokumentarfilm von Harald Friedl ein Gewerbe, das sich gerade in zwei fast gegensätzliche Linien auseinander entwickelt. Beziehungsweise stellt Friedl diese Bewegung pointiert als solche dar: Brotbacken und der Bäckerberuf klingen simpel, sind aber eine recht komplizierte Angelegenheit, wie wir erfahren. Oder, wie es einer aus der Öfferl-Biobäckerei im Weinviertel formuliert: "Brot ist eben nicht nur Mehl und Wasser." Da gibt es Enzyme und Mikroorganismen, die mit dem Teig etwas anstellen. Wenn man sie nur lässt. Also führt uns Friedl in die sinnliche Welt der Biobäckerei ein. Bei Öfferl zum Beispiel gibt es einen weißen Plastikkübel, in dem die "Ur-Mutter" drin ist. Sie ist schon 20 Jahre alt, und noch immer machen die Bäcker aus diesem Batzen Sauerteig ihr Brot, füttern ihn mit Wasser und Mehl, so dass die Mikroben darin neues Leben entfalten. Friedl gibt den Männern Raum, um ihre Beziehung zur Arbeit zu entfalten. Und er nimmt den Sauerteig immer wieder in den Blick, und schon bald glaubt man selbst zu sehen, dass dieser Teig lebt. Ein harter Schnitt, durchaus in einem ideologischen Sinn, nach Deutschland: Harry Brot, Aufnahmen einer großen Industrieanlage, in der es um andere Werte geht. Ein Manager erklärt, um welche: Kosten-, Ertrags- und Investitionsführerschaft, darum ginge es. Nur wer wächst, kann die Konkurrenz unter Kontrolle halten. Friedl beweist Witz: Während der Mann im steifen Anzug von Harry Brot sagt: "Brot genießt ein riesengroßes Vertrauen in der Gesellschaft", untermalt der Film das mit Aufnahmen von portioniertem Brotteig, der über Fließbänder schießt, durch Eisenzylinder gequetscht wird und an der nächsten Station wieder kontrolliert wo hinunter plumpst. Es ist einer jener recht zahlreichen Momente, in denen in "Brot" eigentlich ein Wirtschaftssystem verhandelt wird. Dass in dieser Industrieanlage Brot erzeugt wird, wirkt eher zufällig. Es könnten auch Autos sein. 

Am Scheideweg

"Brot" verknüpft Einblicke in ein Handwerk, das gerade wieder entdeckt wird, mit der Problematik einer Wachstumsideologie, die den Planeten ruiniert. So steht die eine Erzählweise immer im Zeichen der anderen, und umgekehrt. Das erscheint einem mit dem fortlaufenden Film nicht nur als klug gewähltes Narrativ, sondern macht auch deutlich, dass man sich entscheiden muss: Will man als Konsument findige Manager unterstützen, die einem mit einem Cocktail aus Chemikalien und billigen Brotpreisen, die letztlich an der Börse entschieden werden, ein fluffiges, ewig frisches Brot ohne Inhaltsstoffe im Supermarkt anbieten? Oder eines, das in Bedacht auf die Natur, die Region und die Bedürfnisse des menschlichen Körpers produziert wurde? Der Film bezieht hier überraschend eindeutig Stellung, und man hat den Verdacht, er tut das zurecht. Oder, wie ein Bio-Bäcker aus Paris meint: Vergesst nicht, dass Ihr für Industriebrot eigentlich vier Mal bezahlt: Das erste Mal für das Produkt; das zweite Mal für den Arzt, weil das leere Brot nicht satt macht, aber Diabetes produziert. Das dritte Mal zahlt man für die Umweltverschmutzung, für verseuchtes Grundwasser und Böden; und das vierte Mal zahlt man für ein System, in dem die Agrarindustrie Milliarden verdient, aber die Bauern kaum von ihrer Arbeit leben können. Eine Problematik, die man wohl kennt, die in diesem Film anhand eines harmlosen Grundnahrungsmittels aber einen neuen Kulminationspunkt findet.