Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 17. Jän 2013 · Film

Django Unchained

Einmal mehr bläst Quentin Tarantino zur Befreiung des Kinos, indem er Fundstücke daraus neu formatiert. Der albern klingende Versuch, den Italo-Western mit afroamerikanischer Geschichte zu repolitisieren, entpuppt sich dank einer klugen Erzählkonstruktion zumindest als Feuerwerk schräger Ideen.

Wer Tarantino bisher als gnadenlosen Verwerter expliziter Filmgenres wahrgenommen hat, wird gespannt sein, wie es dem Mann gelingt, nun selbst einen Bastard, und zwar die Verbindung aus Italo-Western und Sklavenfrage, zu basteln. Konnte bislang jedem seiner Filme, egal ob „Jackie Brown“, „Kill Bill“ oder „Inglourious Basterds“, eine ganze Reihe historischer Filme samt recodierten Szenen mimetisch zugeordnet werden, so gibt es nun ein Problem: Wie mit Sklaverei umgehen, wenn es weder den filmischen Kanon dazu gibt, noch die vorhandenen Positionen (Blaxploitation; Exotik/Erotik-Ausbeutungskino wie Richard Fleischers „Mandingo“) dazu taugen, im Jahr 2012/13 einem (US-)Publikum präsentiert zu werden. Eigentlich lässt das, nicht nur für Tarantino-Gegner das Schlimmste befürchten: ein peinliches Gewaltspektakel, aufgepeppt durch eine quasi-politische Botschaft und unterfüttert von jeder Menge Kalauern. Das mit den Kalauern stimmt dann auch, tatsächlich erweist sich „Django Unlimited“ aber als dicht inszeniertes, fast dreistündiges Stück, in dem bei aller kindlich-verspielten Lust am Kompilieren erstaunlich selten Momente filmischen Selbstzwecks auftauchen. Entscheidend ist dafür wohl die Idee, Django (Jamie Foxx) mit einem Afro-Amerikaner zu besetzen und diesen an der Seite des deutschen Kopfgeldjägers Dr. Schultz (Christoph Waltz) einem schleichenden Selbstbefreiungsakt vom Sklaven selbst zum Bounty Hunter wachsen zu lassen - und damit selbst sprechen zu lassen. Dem fröhlichen genre-immanenten Revanchismus am Ende des Films steht so gesehen nichts mehr im Weg. Und auch wenn das grundsätzliche Problem mit Tarantino bleibt, dass er Pulp zur gewalttätigen Kunst erhebt und damit dennoch mehr Manierismus als Trash produziert, so wird anhand von „Django Unchained“ doch deutlich, welch akribischer Arbeiter hinter diesem konvulsiven Körperkino steht.

Von Narben und Löchern

Um die Geschichte eines Teils der amerikanischen Gesellschaft nicht zu verulken, lässt er zur Sicherheit einen „Ausländer“ als Befreier auftauchen und straft präventiv sämtliche weiße Südstaatler mit intellektuell-emotionaler Unfähigkeit. Tarantino bringt aber mit dem am Stock humpelnden, aber pfeilschnell kombinierenden Samuel Jackson, eine Figur – als rechte Hand des üblen Plantagenbesitzers (Leonardo DiCaprio) – ein, die die Viktimisierung der schwarzen Bevölkerung noch einmal auf überspitzte Weise (der unvermeidliche Uncle Tom) bricht. Von den diversen Tarnungs- und Täuschungsmanövern, mit denen Waltz und Foxx hier arbeiten, ist Jackson naturgemäß der Einzige der "anderen" Seite, der diese Mechanismen verstehen kann. Affirmation bis in den Tod gewissermaßen. So treibt Tarantino sein Spiel unerhörter Situationen, wenn er Waltz als vermeintlichen Zahnarzt übelste Herrenmenschen mit seiner Kunstsprache – „Innerhalb geschmackswahrender Grenze betrachten Sie ihn (Django) als Erweiterung meiner Selbst.“ – jedes Mal aufs Neue bis zum Äußersten treibt. Waltz prägt diese Szenen mit der seiner Schauspieler-Persona eigenen Impertinenz, die gleichermaßen Künstlichkeit und Neugier erzeugt. Er trägt Foxx, der den Ex-Sklaven Django beeindruckend mit der nötigen Verunsicherung (was seine soziale Stellung betrifft) und dennoch wachsender Wut spielt, gewissermaßen durch den Film. Eigentliches Ziel der Erzählung ist die Befreiung der ebenfalls versklavten und von Django getrennten Ehefrau Broomhilda (Kerry Washington), mit der sich die titelgebende Entkettung schließlich noch einmal nunmehr mythisch überhöht vollzogen wird. Zu diesem Zeitpunkt ist der Kampf der Leiber bereits entschieden: tomatensaftsprudelnde Löcher für schwer aufgequollene, narbige Striemen.