Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Gunnar Landsgesell · 04. Apr 2019 · Film

Die Wiese - Ein Paradies nebenan

Das Besondere an der Naturwiese ist nicht nur, dass sie zu 98 Prozent verschwunden ist, sondern es findet sich auch in ihr selbst: gebärende Rehe und gefräßige Krabbenspinnen, kämpfende Grillenmännchen und trickreiche Blüten. Eine Naturdoku in hochauflösenden Bildern, familiengerecht gestaltet.

Vom Aussterben bedroht: Das gilt nicht nur für einige Tierarten, sondern auch für die Blumenwiese. 98 Prozent aller naturbelassenen Wiesen sind Ackerland oder Parkplätzen gewichen, eine Wiese mit ihrem beeindruckenden Artenreichtum muss man also schon suchen. Dass ein abendfüllender Film wie „Die Wiese“ für das Kino produziert wird (Auftraggeber: Deutsche Wildtier Stiftung), hat so gesehen nicht nur mit lustigen Rotfuchsjungen, brummigen Hummeln und schillernden Gräsern und Blumen zu tun, sondern mit dem dramatischen Verlust von Natur. Der Naturfilmer Jan Haft, der u.a. mehrere Folgen der TV-Reihe „Universum“ realisiert hat, versucht, dem Zuseher ein Biotop näherzubringen, dessen Selbstverständlichkeit nur noch im semantischen Klang des Wortes „Wiese“ besteht. Über drei Jahre hat das Team gedreht, 300 Drehtage lag man auf der Lauer, um die eher selten zu sehende Geburt eines Rehes zu filmen oder auch, wie eine Wanstschrecke auf einer Blume hockt. Man trieb sich dafür in Deutschland, in Dänemark und im Südburgenland auf Orchideenwiesen herum, fing mit hochauflösendem Material ein, wie Grillenmännchen sich einen Kampf liefern, Pilze knallend aufpoppen oder die Blüte einer Ragwurz einer Hummel vortäuscht, ebenfalls eine Hummel zu sein. Während die eine glaubt, die andere zu begatten, verbreitet sie in Wirklichkeit deren Pollen. „Die Wiese“ gefällt mit glasklaren Bildern und dem mikroskopischen Blick und sammelt auf diese Weise ein ganzes Panoptikum an An- und Einblicken, die ganz dem Gedanken folgen, dass die Natur „erstaunen“ kann. Zwischendurch einige Miniaturnarrative: wenn die Rehkitze geboren werden, sieht man in Zwischenschnitten Vögel, die das freudige Ereignis scheinbar von Ästen aus bestaunen. So ist der Naturfilm am ehesten ein Familienfilm, der auch für Kinder aufbereitet wird, ohne dass diese geschockt werden. Wenn eine weiße Krabbenspinne auf einer Kamillenblüte eine Rossameise erbeutet, folgt rasch der Schnitt. Und ein Traktor, der die Wiese mäht, wird im Stil Disneys als „Ungeheuer“ bezeichnet, um den vielfachen Tod, den der Grasschnitt verursacht, verträglich zu machen.

Appell statt Alternative

Ein tieferes Verständnis der Wiese als Ökosystem versucht der Film eher nicht. Die Erzählstimme, die einen fortwährend begleitet, kommentiert zwar Tiere und Pflanzen, vermeidet aber komplexere Zusammenhänge, und bleibt strikt bei singulären Phänomenen. Auch ein Blick unter die Wiese, in das Erdreich, das, wie man aus der Biolandwirtschaft weiß, die Basis für artenreiches und gesundes Leben ist, wird nicht riskiert. Dabei wären gerade die Kreisläufe der Natur ein essenzieller Baustein für deren Verständnis. 
Zwar verweilt „Die Wiese“ lange im titelgebenden Paradies, klärt aber auch einen wichtigen Punkt, dass Wiese nicht gleich Wiese ist. Von Dotterblumen übersäte Grünflächen sind schwer überdüngt, hier findet der Film ein anschauliches Bild für eine abstrakte Größe. 20 Badewannen, gefüllt mit Gülle, kommen statistisch gesehen auf jeden Einwohner der Bundesrepublik. Der Kot wird auf den Feldern und Wiesen entsorgt und verwandelt diese in artenarme Futterwiesen. Eine Drohne liefert von oben ein anschauliches Bild: große braune Fläche, die irgendwie tot aussieht. Den appellativen Tonfall, in den in solchen Passagen gewechselt wird, mag man verstehen. Hier vertritt „Die Wiese“ einen klaren Auftrag. Schön wäre aber auch gewesen, alternative Lösungen anzusprechen, um das Publikum nicht mit diesen trüben Aussichten allein zu lassen.