Die geliebten Schwestern
Dominik Graf erzählt von einer historischen Dreiecksbeziehung zwischen Friedrich Schiller und den Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld. Akkurat in den Empfindungen, frei in der Inszenierung und sich bewußt der großen Umbrüche dieser Zeit.
Weimar im ausgehenden 18. Jahrhundert. Zwei Schwestern verbringen den Sommer im Haus ihrer Patentante (Maja Maranow) Die jüngere Schwester Charlotte (Henriette Confurius) soll nun die Etiketten einer jungen Damen lernen. Auch vor dem Hintergrund, durch eine Zweckehe den finanziellen Status der verarmten Adelsfamilie abzusichern. Als Verrat an den eigenen Idealen empfindet sie das, vor allem an dem der Freiheit, doch hat ihre ältere Schwester Caroline (Hannah Herzsprung) das Opfer der Vernunftehe schon vollbracht.
Zwei Schwestern, die sich unter dem gesellschaftlich-höfischen Druck ihre Freiräume suchen, sich ganz romantisch schwören, alles zu teilen, sich immer zu lieben und der Wahrheit treu zu bleiben – das ist ein Thema, für das Regisseur Dominik Graf auch seine eigenen Routinen verlassen hat. Zwischen Fernsehkrimis wie „Polizeiruf 110“ und „Tatort“, die er mit eigener Handschrift inszeniert, fand Graf nach Jahren den Weg zurück ins Kino. Ein guter Anlass, der historische Stoff bietet einiges an Intensitäten: Denn das Setting (post)romantischer und aufrührerischer Ideen, das die beiden Schwestern emotional verbindet, erweitert sich mit der Bekanntschaft des aufstrebenden Schriftstellers Friedrich Schiller zu einer Ménage-à-trois. Auch als Charlotte Schiller heiratet und damit dem Rat Carolines folgt, setzt sich diese Dreiecksbeziehung fort.
Ein großer Bogen
Das ungewöhnliche aber historisch verbürgte Verhältnis dieser drei Figuren gibt einen guten Nährboden für einen Filmemacher wie Dominik Graf ab. Schiller (von Florian Stetter fragil aber wagemutig verkörpert) und die zwei Schwestern schworen sich auf eine Beziehung ein, die man sich geistig und wohl auch körperlich vorzustellen hat. Graf erfüllt sie mit seiner eigenen Vision von Kino: in fast drei Stunden spannt er einen durchwegs lebendig anmutenden Bogen von der sprühenden Begeisterung und den Empfindsamkeiten dieser Dreiecksbeziehung bis zu den späteren Verwerfungen – als sich trotz Treueschwüren die eigenen Begehrlichkeiten nicht ganz ausschalten ließen. Grafs Historienfilm geht dabei seinen ganz eigenen Weg: anders als Jessica Hausners „Amour fou“, die der Steifheit der Zeit eine unverblümte Ironie entgegensetzt und sich eher abstrakt am Konzept der Liebe selbst abarbeitet; und auch anders als jene ungestümen, fast punkigen Verfilmungen zweier großer historischer Liebesdramen, „Jane Eyre“ und „Wuthering Heights“ der letzten Jahre. Graf ist um präzises Erzählen bemüht, er versucht auf einer subjektiven Ebene Gefühle, Sprache, Begegnungen nicht historisch akkurat zu rekonstruieren, sondern ganz heutig und natürlich wirken zu lassen. Zugleich gibt er dieser Leichtigkeit seiner Bilder einen strengen Rahmen: die Konventionen der Zeit setzen den Figuren einen engen Handlungsrahmen, in dem – der Kern der Erzählung – immer wieder Freiräume geschaffen werden müssen. Auf die formalen Spielereien, die sich Graf über die Jahre seiner Fernseharbeit zum Stil gemacht hat, verzichtet er hingegen nicht. Die Graf’sche Polyphonie der Tonspur bringt immer wieder eine Überlagerung der Dialoge mit Hintergrundgeräuschen, anderen Stimmen, Musik. Dazu eine unruhige Kamera, die Reisschwenks und Zooms geradezu sucht; und eine Montage, die sprunghafte Schnitte nicht scheut. Wie immer man zu dieser Semiotik stehen will, sie schafft einen irritierenden Kontrast zur Bedächtigkeit der erzählten Zeit.