Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Gunnar Landsgesell · 07. Mai 2021 · Film

Der schönste Platz auf Erden

Das burgenländische Pinkafeld ist eine Kleinstadt wie viele andere in Österreich. Auch wenn nicht aus jeder solcher Kleinstadt ein Bundespräsidentschaftskandidat kommt. Aber darum geht es hier gar nicht. "Der schönste Platz auf Erden" lauscht, ausgehend vom Jahr 2016, in die Leute, befragt diese und schließlich auch sich selbst, ob ein Film eigentlich etwas auslösen kann. Ein Film zwischen zahmen Rehen und aufgebrachten Bürgern.

Ein Film, der zuerst mit einem Missverständnis aufräumen muss, das er übrigens selbst geschaffen hat, macht sich natürlich interessant. „Kein Film über Norbert Hofer“ ist so etwas wie der Untertitel von „Der schönste Platz auf Erden“. Tatsächlich führt dieses beschauliche Porträt einer österreichischen Kleinstadt, wie man es durchaus öfters gerne im Kino sehen würde, eine gefühlte Ewigkeit zurück. Vor fünf Jahren wählten im umstrittenen Präsidentschaftswahlkampf fast drei Viertel der Pinkafelder Einwohner Norbert Hofer als Kandidaten. Regisseurin Elke Groen nahm das zum Anlass, um in eine an sich durchschnittliche Provinzstadt etwas genauer hineinzuhören. Vielleicht etwas hinter den üblichen Parolen und abgegriffenen Bildern zu erfahren, mit denen sich Menschen gemeinhin zur politischen Lage positionieren. Das gelingt zwar nicht immer. Dennoch ist das, was Groen bei ihren Besuchen in Pinkafeld über die folgenden Jahre vorfindet, interessant. Ein Ort mit einem sozialdemokratischen Bürgermeister, der weit in die Rhetorik der Freiheitlichen greifen muss, um sein Amt zu behaupten. Eine Bäuerin und Kleintierzüchterin, die reflektiert ist und FPÖ wählt. Ein anderer Gesprächspartner, der schon die Kommunisten und Grünen gewählt hat, nun aber bei der FPÖ seine Heimat gefunden hat. Eine Familie aus Syrien, die von den einen Nachbarn gegrüßt wird, von den anderen nicht. Ein Angehöriger der Burgenland-Roma, der von ganz üblichen Lokalverboten für „Zigeuner“ in früheren Jahren berichtet und nun selbst die „Hallelujah“-Diskothek betreibt. Der Anti-Ziganismus habe sich verlagert, gibt er zu Protokoll, heute treffe es die Geflüchteten.

F wie Folklore

So absichtsvoll das alles klingen mag, Groen lässt ihrem Film viel Raum, und damit auch den Zusehern. Es geht nicht darum, Ressentiments einzufangen, um das Publikum bei Laune zu halten. Im Kino darf beobachtet werden, ist Zeit für Resonanzräume, dürfen Ambivalenzen stehen bleiben. Damit ist wohl am besten die Stoßrichtung ihrer filmischen Untersuchung beschrieben. „Der schönste Platz auf Erden“ scheint mit seinen wiederkehrenden Begegnungen vor allem daran interessiert, zu sehen, ob die Gespräche der Filmemacherin bei ihren Akteuren etwas auslösen. Das erkennt auch die Jungbäuerin an, deren Weltbild als Frau ohnehin nicht ohne Brüche mit der freiheitlichen Rhetorik zu vereinbaren ist. Dabei findet der Film immer wieder Stimmungsbilder zwischen der Beschaulichkeit am Land und der unfreiwilligen Tristesse politischer Agitation. Während Groen eine Kuh der Bäuerin zeigt, wie diese für eine Wette über den Sportplatz trabt, bleiben die erwähnten 100 Geflüchteten, die in Pinkafeld leben sollen, unsichtbar. Die würden „in Saus und Braus“ leben, wie es heißt. Bei denen gewesen sei man aber nicht. Mit Geduld und Beharrlichkeit macht sich der Film dabei immer wieder aufs Neue auf, den Menschen hinter den abgeklärten Sichtweisen zu orten. Ein besonders sinnträchtiges Bild liefert eine versprengte  1. Mai-Feier: Ein farbloser Lokalpolitiker holpert seinen Text über die historischen Errungenschaften der Sozialdemokratie herunter, während sich rund um ihn die Mitglieder einer Blasmusikkapelle ungestört unterhalten. Niemand scheint Notiz zu nehmen, die Kämpfe von damals sind heute nicht einmal mehr Folklore. Die Marginalisierung einer Idee, so hat man den Verdacht, hat aber nicht so sehr mit den zweifellos verbesserten Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen zu tun, sondern mit dem Verlust des Glaubens in die eigenen Möglichkeiten. Damit landet Groens Film fast logisch im Setting von Pinkafeld. Die allgemeine Ratlosigkeit, die einen dort begleitet, wird damit trotz aller sonstigen Bemühungen zur stärksten Erzählkraft des Films. Sehenswert.

Samstag, 8.5., 15 Uhr
Spielboden Dornbirn
www.spielboden.at