Ethan Coen hat seinen ersten Spielfilm als Soloregisseur gedreht: „Drive-Away Dolls“. (Foto: Focus Features)
Gunnar Landsgesell · 16. Okt 2020 · Film

Der geheime Garten

Mehrfach verfilmt wurde die Geschichte der zehnjährigen Mary, die sich im streng reglementierten Haus ihres Onkels in England eine Fantasiewelt samt Freunden aufbaut. Ein Film von visueller Strahlkraft, in dem die menschliche Dimension aber unterbelichtet bleibt.

Ungewöhnlich düster für einen Stoff mit einem Kind als Protagonistin fühlt sich „Der geheime Garten“ zu Beginn an. Indien im Jahr der Teilung 1947, die zehnjährige Mary (Dixie Egerickx) schlägt sich nach dem Cholera-Tod ihrer Eltern durch und wird schließlich zu ihrem Onkel Archibald (Colin Firth) nach England gebracht. Dunkle Räume, strenge Regeln, in diesen Szenen wird die Verstörung des Mädchens zum zentralen Thema. Als Mary beginnt, die Restriktionen ihres Onkels und der gestrengen Mrs. Medlock (Julie Walters) zu durchbrechen, ist es ein kleiner Vogel, ein Rotkehlchen, das den Weg zu einem wundersamen Garten weist.

 Disparate Verfilmung

„The Secret Garden“ (1911) ist ein bereits mehrfach verfilmter Roman der britischen Autorin Frances Hodgson Burnett. In seiner Adaption setzt Regisseur Marc Munden insbesondere auf die Wahrnehmung Marys als erzählerische Instanz. In impressionistisch geprägten Bildern faltet er eine Welt auf, in der alles belebt, alles beseelt wirkt. Kein Wunder, dass selbst Tapetenwände ein Eigenleben entwickeln und draußen im Garten große Blätter sekundenschnell verwelken, wenn Mary traurig ist. Mit viel CGI-Technik gelingen visuell immer wieder überraschende Momente. Zugleich stellt sich aber der Eindruck ein, dass die blumige Fantasie des Mädchens, eigentlich eine persönliche Strategie, um den Schmerz ihrer Erinnerung zu tilgen, zunehmend im Aufgebot der modulhaften Fantasy-Bilderbögen verloren geht. Dem Innenleben Marys kommt man dabei nicht so nahe, wie das in der Romanvorlage passiert. Nicht immer erzielen die Bilder die emotionale Wirkung, die sie anstreben. Das gilt insbesondere für die zwischenmenschlichen Beziehungen dieses Films. Ein Mitbewohner Marys in dem weitläufigen Palais ist Colin (Edan Hayhurst), der bettlägerige Sohn ihres Onkels. Der Tod seiner Mutter hat ihn, wie auch seinen Vater (C. Firth) aus der Bahn geworfen. Marys Versuche, über diese gemeinsame Erfahrung eine Verbindung herzustellen, erweisen sich als wenig erfolgreich. Aber auch dem Film fehlt es hier an einer spezifischen Qualität, die inneren Verwerfungen dieser Kinder und die hartnäckige Trauer, die sich lähmend über diese Familie gelegt hat, deutlich zu machen. Ganz anders die Szenerien in der lichtdurchfluteten Welt des Geheimen Gartens, von dem nie klar ist, ob es ihn gibt oder ob er Marys Imagination entspringt: Geradezu sorglos nimmt sich die Freundschaft Marys mit einem jungen Abenteurer namens Dickon (Amir Wilson) und einem streunenden Hund aus, den Mary Jemima nennt. Der Überschwang dieser Szenen und deren märchenhafte Anmutung lassen einen – auf eine so wohl nicht intendierte Weise – sich in einem anderen Film wähnen. Unterbrochen von Flashbacks, in denen Mary und ihre Mutter noch glücklich vereint sind, verliert sich in dieser disparaten Inszenierung ein wenig die Klarheit, mit der der Roman von seiner kindlichen Hauptfigur berichtet. Eine Schieflage, die im Fantasy-Genre des öfteren zu beobachten ist.