Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 05. Jul 2019 · Film

Das Haus am Meer

Als der alte Familienvater nach einem Schlaganfall verstummt, versammeln sich die drei erwachsenen Kinder im Haus der Familie. Eine kleine bezaubernde Meeresbucht verwandelt Regisseur Robert Guédiguian einmal mehr mit dem gewohnten soziologischen Scharfsinn zu einer Reflexion über frühere Träume und wie man sie am Leben erhält

Regisseur Robert Guédiguian hat zweifellos Witz, wie sonst würde er seinen Film mit einem alten Mann beginnen, der von seiner Terrasse auf ein pastellfarben schillerndes Meer blickt, sich eine Zigarette anzündet, „schade“ seufzt und damit sein erstes und letztes Wort in diesem Film sagt. Der alte Mann, der eben in eine Art Wachkoma verfallen ist, ist der Vater von drei erwachsenen Kindern. Nun überkreuzen sich deren Lebensläufe und Lebensfragen im Haus der Eltern: die der Theaterschauspielerin Angéle (Ariane Ascaride), die nun wieder an den Tod ihrer Tochter erinnert wird; die des Gewerkschafters Joseph (Jean-Pierre Darroussin), der die Welt im Klassenantagonismus begreift und seine junge Freundin damit kaum noch faszinieren kann; und die von Armand (Gérard Meylan), der verbunden mit dieser kleinen verträumten Bucht das Bistro des Vaters fortführen will. Das Schöne an „Das Haus am Meer (Original: „La villa“) ist, dass Guèdiguian daraus kein geschwätziges französisches Familiendrama macht, sondern dem Meer auf wundersame Weise die Regie überlässt. Alles scheint auf magische Weise mit den Gezeiten in dieser Bucht zu kommen und zu gehen: die Unruhe, die die Akteure plötzlich überkommt und dann wieder die mit dem eigenen Leben versöhnten Momente; die Erinnerungen an das, was hier einmal an Ausgelassenheit war und die Gewissheit, dass das Leben nur vorübergehend ruht, aber keinesfalls vorbei ist. Jetzt, wo der Vater sich fast schon verabschiedet hat, fällt den Jüngeren das Wort und die Welt zu, und Guédiguian beobachtet nicht ohne Ironie, was sie damit machen.

Zwischen Ebbe und Flut

Der Regisseur, der diesen Film so wie alle seine Filme in der Gegend von Marseille gedreht hat, erzählt mühelos vom Altern, von der Liebe, von Träumen und von Schuld, ohne dabei schwerfällig oder gar dramatisch zu werden. In einer Filmszene, die er vor 30 Jahren gedreht hat, sieht man seine Protagonisten, wie sie sich zu den Klängen von Bob Dylan gegenseitig ins Meer werfen. Vollbekleidet, ausgelassen, in einer Stimmung, der nun, in „Das Haus am Meer“, wieder nachgespürt wird. Das was an diesem Ort einmal denkmöglich war, scheint den Jüngeren allerdings verborgen. Mehrmals lässt Guédiguian einen scharfen Antagonismus zwischen den Generationen aufblitzen. Dem alten, benachbarten Ehepaar ist der Sohn fremd geworden. Du sprichst wie ein Manager, sagen sie zu ihm, als sie ihm erzählen, dass der neue Vermieter nun die dreifache Miete verlangt. Er könnte das Haus auch an Touristen vermieten und weit höhere Renditen einfahren, entgegnet der Sohn. Und auch zwischen dem politischen Utopisten und Gewerkschafter Joseph und seiner am Absprung befindlichen Freundin Bérangère (Anais Demoustier) scheint sich ein neoliberaler Geist dazwischengeschoben zu haben. Die alten Werte von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit (die auch Guédiguian in jedem seiner Filme thematisiert), die sie an Joseph einst begeistert hatten, findet sie nun fast bemitleidenswert. Ohne dass es ausgesprochen wird, ist wohl eines der größten Probleme, die alle in dieser verträumten Bucht haben, mit der Zeit zu gehen, ohne sich selbst zu verraten. Insofern ist „Das Haus am Meer“ keinesfalls ein nostalgischer Film, sondern entspricht ganz dem gewohnt soziologischen Scharfsinn Guédiguians: Alle hier brauchen eine Vision. Die Frage ist nur, wie man sie davor bewahrt, an den Wänden als Fotos erstarren zu lassen.