Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 04. Jän 2019 · Film

Colette

Keira Knightley in der Rolle einer der bedeutendsten französischen Autorinnen, die unter dem Namen Colette die gesellschaftlichen Schranken von Frauen ein Stück weit überwand. Eine Filmographie, die recht gepflegt durch grüne Gärten, güldene Parties und den Geschäftscharakter eines Ehelebens führt. Am Ende tobt die Freiheit.

Regisseur Wash Westmoreland hat die besseren Allegorien: Während eines festlichen Empfangs wendet sich Colette einer Schildkröte zu. Diese sitzt mit vergoldetem Panzer samt Edelsteinschmuck auf einem Tablett, doch die Leiden des Freiheitsentzuges scheinen durch jene der Langeweile noch übertroffen. Mit Colette begegnet man einer Frau, die etwas erleben möchte. Die historische Vorlage gibt dafür reichlich Stoff: Die Autorin Sidonie-Gabrielle Claudine Colette war Autorin, Bühnenkünstlerin und später Journalistin, wurde noch im 19. Jahrhundert eine der bekanntesten Autorinnen Frankreichs, führte freizügige Ehen, hatte mit einer Adeligen namens „Missy“ (Denise Gogh), die Hosen und Männeranzüge trug, ebenso eine Beziehung wie mit ihrem 30 Jahre jüngeren Stiefsohn in einer späteren Ehe. Vor allem aber war Colette eine öffentliche Person, die die gesellschaftlichen Schranken ihrer Zeit ein Stück niederriss und für ihre literarischen Leistungen vielfach ausgezeichnet wurde. Unter der Regie des queeren Filmemachers Wash Westmoreland, der zuvor eine Reihe eigenwilliger Pornos gedreht hatte, beschränkt sich die Filmographie Colettes auf die Ehe mit einem Säufer und Spieler namens Willy (Dominic West), der seine deutlich jüngere Ehefrau schon bald dazu bringt, unter seinem Namen die erfolgreiche autobiographisch motivierte Claudine-Romanreihe zu schreiben. Das ist Fluch und Segen des Films gleichermaßen. Einerseits wird „Colette“ dieser pointierten, fordernden Figur keinesfalls gerecht, wenn er diese aus dem Schatten eines unbedeutenden Weggefährten heraus beleuchtet. Andererseits interessiert das Drehbuch durch viele feinsinnig gesonnene Situationen, in denen eine ungewöhnlich offene Beziehung mit effektiven Machtspielen die Erwartung unterläuft, man würde hier eine Frau als Gefangene in einem Ehekäfig sehen. Ganz im Gegenteil, wendet sich das Blatt zugunsten einer gewieften Taktikerin, deren kreativer Wucht der alte Willy nur noch den Ausverkauf (seiner selbst) entgegenzuhalten vermag.

Vom Kalkül der Körper

Auch wenn Westmorelands detailfreudige und ausgeklügelte Inszenierung sich durch eine recht körperliche Präsenz seiner Protagonisten auszeichnet, vergisst er dabei nicht auf die Tauschwerte in dieser Parabel. Colette ist das ganze Kapital von Willy, das er zur Finanzierung seines eigenen Lotterlebens die längste Zeit ertragreich einzusetzen weiß. Auch ein herrschaftliches Haus im Grünen zählt zu diesen Investitionen, in dem man Knightley etwas verloren einen Gemüsegarten anpflanzen sieht. Eine junge Ungarin, die einen alten Waffenfabrikanten geheiratet hat, ist eine von mehreren Indizes, die von Kalkül und Berechnung in dieser durchlässig werdenden Bürgergesellschaft erzählen. Dennoch stellt sich am Ende das Gefühl ein, eher verhaltene Einblicke in die titelgebende Heldin erhascht zu haben. Queere Auftritte in einem Varieté und Colettes angehende Beziehung mit „Missy“ erwecken das paradoxe Gefühl, dass man just in dem Moment, in dem diese Figur ausbricht, auch schon von ihr Abschied nehmen muss. Der Tumult, der beim Kuss der zwei Frauen auf der Theaterbühne ausbricht, ist damit schon einer der letzten Befreiungsakte im Film, denen Colette im Leben noch einige folgen ließ.