„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Gunnar Landsgesell · 07. Aug 2020 · Film

Berlin Alexanderplatz

"Berlin Alexanderplatz", der Jahrhundertroman von Alfred Döblin, 1980 kongenial von Rainer Werner Fassbinder verfilmt, tauscht in der Neuverfilmung den Dreck Berlins Ende der 1920er Jahre mit stylischen Clubbing-Szenerien und Franz, den Hilfsarbeiter, mit einem schwarzen Migranten aus. Klingt interessant, geht aber nur bedingt auf.

Die Verfilmung von Alfred Döblins Jahrhundertroman Berlin Alexanderplatz hat bereits stattgefunden. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Buches realisierte Phil Jutzi 1931 den Stoff mit Heinrich George in der Rolle von Franz Biberkopf. Ein Film, der Döblins Vorlage nicht ganz gerecht wurde, Jutzi orientierte sich sehr am Genrefilm und ergänzte ihn mit Straßenkolorit. 1980 machte sich Rainer Werner Fassbinder an die Arbeit, seine 15-stündige Fernsehserie ist epochal, der Dreck und die Armseligkeit tauchten das Berlin der ausklingenden Weimarer Republik in eine düstere Großstadtvision. Wo Fassbinder die Idee, die Stimmung Döblins kongenial aufgriff, möchte der deutsch-afghanische Regisseur Burhan Qurbani neue Wege gehen. Franz ist nun ein schwarzer Flüchtling, Berlin besteht aus Drogendealern, Clubs und Parks, in denen sich diese bewegen, und aus Oldschool-Unterweltlern wie Pums, deren Geschäftsmodell knochentrocken ausgeführter Überfälle zu Ende geht. Das alles baut sich zunächst als interessante Kulisse und gewagter Versuch einer zeitgemäßen Neuinterpretation auf. Franz Biberkopf, von Welket Bungué als beeindruckende Mischung aus Underdog und ambitionierter Geist verkörpert, ist ein Entrechteter, der immer dann ein Problem in dieser Welt  bekommt, wenn er seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Bei Döblin ein äußerst ambivalenter Kerl, der seine Freundin umbrachte und nach dem Gefängnis ein neues Leben sucht, versucht, gut zu sein, und dann doch rasch wieder bei Vergewaltigung und Raub ankommt. Schon hier wird Berlin Alexanderplatz 2020 problematisch, weil die Drehbuchautoren Franz ebenfalls eine Schuld andichten, über die man jedoch nichts Genaues erfährt. Offenbar hatte er während seiner Flucht seine Freundin im Meer ertrinken lassen. Doch die Frage, die sich hier und bei weiteren Neuinterpretationen des Romans stellt, ist, warum dieser Migrant unserer Zeit immer wieder auf die Spuren von Döblins Franz Biberkopf gedrängt wird. Das funktioniert, fast logisch, manchmal schon, aber meistens wirkt es einigermaßen künstlich. Immer wieder hat man das Gefühl, die Figur ist gerade dabei, sich selbst zu entdecken, als sie schon wieder mit den Fangstricken des Romans zurückgeholt wird. So wird der neue Franz genötigt, ganz so wie der alte Franz dem schizoiden Frauenhasser und Dealer Reinhold (perfid und eindrücklich verkörpert von Albrecht Schuch) zu huldigen und schließlich für ihn zu arbeiten. Franz verkennt ihn als Freund und will auch nicht auf die Warnungen seiner ersten Liebe und Lebensretterin „Mieze“ (Jella Haase) hören. Die Folgen sind bekannt.

Konzeptuell nur bedingt schlüssig

Irgendwann hat sich „Berlin Alexanderplatz“ selbst in den Tauen seiner ambitionierten Idee verheddert. Es gibt viele Momente, in denen dieser Film für sich eigentlich funktionieren würde. In denen sich die Mechanismen der Entrechtung, wie sie etwa dieser Flüchtling erlebt, sehr konkret anfühlen. Als bei einem Unfall der deutsche Vorarbeiter auf der Baustelle droht, dass hier niemand der illegalisierten Arbeiter die Rettung holt. Oder Szenen, in denen Reinhold seine Sexpartnerinnen an Francis weitergibt, in denen die mehrfach überlagerten Machtverhältnisse deutlich werden. Oder jenen Dialog, in dem Eva, die deutsche Clubbesitzerin nigerianischer Herkunft, sich mit Francis über schwarze Hautfarbe und weißes Bewußtsein unterhält. Oder wenn Francis versucht, sich eine Existenz aufzubauen, er, der nach Deutschland gekommen ist, um zu bleiben, und dann erst recht im Kriminal landet. Aber zugleich wird die Engführung nach Vorgabe des Romans immer mühsamer, reduziert die Glaubwürdigkeit der Figuren, der Handlungen auf ein Skelett. Die Geister, die er rief, wird Qurbani dann nicht mehr los. Und während man eigentlich im Fortlauf von Erzählungen mehr Durchblick erhält, was die größere Idee betrifft, gibt einem dieser Film am Ende doch Rätsel auf. Darüber, wie der Migrant Francis im Körper von Franz Biberkopf gelandet ist. Oder was einem diese deutschen Unterweltszenerien, die doch recht stylish inszeniert und ins Bild gesetzt wurden, nun erzählen sollen. Über die spannend klingende Idee hinaus bleibt jedenfalls das Gefühl einer gewissen Kluft am Ende über.