Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Walter Gasperi · 12. Aug 2020 · Film

Zurück in Bludenz: Eröffnung der 35. Alpinale

Von einem berührenden Animationsfilm über Alzheimer über den Umgang einer in Wien lebenden türkischen Familie mit der Vergewaltigung der Tochter bis zu einer trockenen finnischen Komödie spannte sich das Programm des Eröffnungsabend auf dem sehr gut besuchten Bludenzer Remiseplatz.

1985 wurde die Alpinale in Bludenz gegründet, 2003 übersiedelte das Festival aufgrund von Differenzen mit der Stadt nach Nenzing und fokussierte wenig später auch ganz auf Kurzfilme. Nun erfolgte die Rückkehr nach Bludenz. Der laue Abend sorgte auf dem Remiseplatz für ideale äußere Bedingungen fürs Open-Air-Kino und auch das Programm gestaltete sich ansprechend.

Bedrückende Geschichte poetisch-leicht erzählt

Mit dem für den Oscar in der Kategorie „Bester animierter Kurzfillm“ nominierten „Mémorable" präsentierte man dem Publikum gleich zum Einstieg eine filmische Perle, die die Latte hoch legte. In Stop-Motion-Animation erzählt der Franzose Bruno Collet darin von einer sich steigernden Alzheimer-Erkrankung. Die Gedächtnisprobleme im Alltag werden dabei geschickt dadurch visualisert, dass sich Dinge für den Protagonisten verformen oder sogar ganz in Punkte auflösen.
Wenn der Mann sich selbst nicht mehr im Spiegel erkennt und auch seine Frau als Fremde ansieht, wird direkt und schmerzlich erfahrbar, wie sich durch die Krankheit die Persönlichkeit auflöst. Trotz der Schwere des Themas bleibt „Mémorable“ aber dank der liebevollen und detailreichen Machart, bei der Collet auch Gemälde von Vincent van Gogh zitiert, und dem mitfühlenden Blick auf das Paar federleicht und voll Poesie. Lange bleibt so auch das Finale haften, in dem der Mann mit einer nur schemenhaft gezeichneten durchsichtigen Frau tanzt, bis sich diese in Punkte auflöst und schließlich nur die weiße Leinwand zurückbleibt.

Dichter und genauer Einblick in eine türkische Familie

Schwer hatten es nach diesem Einstieg die folgenden Filme, das Niveau zu halten, dennoch hinterließ auch Özgür Anils „Das Urteil im Fall K.“ einen starken Eindruck. Bewusst emotionslos lässt Anil die Richterin das Urteil gegen zwei Türken verlesen, von denen der eine eine 17-jährige Türkin vergewaltigt hat, der andere die Tat gefilmt hat, statt dagegen einzuschreiten oder die Polizei zu rufen. Der unbedingten Haftstrafe für den Haupttäter steht eine bedingte Strafe für den anderen gegenüber. Während der alleinerziehende Vater des Opfers die Urteile akzeptiert, glaubt der Bruder, dass auch der Mittäter bestraft werden muss und sinnt auf Rache, während das Opfer selbst die Tat verdrängt und so tut, als ob nichts passiert sei.
Große Dichte entwickelt das 30-minütige Drama durch starke Schauspieler und Milieuechtheit, zu der auch der fließende Wechsel zwischen türkisch und deutsch beiträgt, aber auch durch die strenge und konzentrierte Inszenierung. Anil verzichtet konsequent auf Filmmusik, erzählt elliptisch verdichtet auf wesentliche Szenen, die er vielfach in einer einzigen langen Einstellung filmt. So gelingt ihm ein starker Einblick in diese von der Außenwelt quasi abgeschlossene Familie, in der es auch innerhalb kaum Kommunikation gibt und jeder für sich versucht, mit dem Verbrechen umzugehen.

Anregender Mix

Visuell einfallsreich macht Reinhold Bidner in seinem kurzen Animationsfilm „Time O´ the Signs" bewusst, wie sehr das Leben der Menschen von Internet und Social Media bestimmt wird. Im Gegensatz zu diesem stark abstrahierten Film setzt der Finne Jarno Lindemark in „From Matti With Love“ auf klassisches Erzählkino: Mit bestechend klarem Aufbau, punktgenauer Inszenierung und zwei bestens harmonierenden Hauptdarstellern erzählt er in seiner in der weiten finnischen Provinz spielenden Komödie herrlich lakonisch von einem homosexuellen Mann, der erst von einer über Internet kontaktierten russischen Transgender-Frau gedrängt werden muss, sich gegenüber seiner Umwelt zu outen.
Nicht zuletzt dieser kluge Mix nicht nur von Animationsfilmen und Realfilmen, sondern auch von Drama und Komödie sorgte für einen interessanten Eröffnungsabend.

Weitere Infos und Programmübersicht unter www.alpinale.at