Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Anita Grüneis · 10. Aug 2020 · Musik

„Carmen“ in Werdenberg: Wenn sich der Tod in die Liebe schleicht

Sie haben es gewagt und das Publikum ist dankbar dafür: Die Aufführung der Oper „Carmen“ bei den Werdenberger Schloss-Festspielen entwickelt sich zum Publikumsliebling. Die ersten beiden Vorstellungen waren ausverkauft und auch die restlichen acht sind auf dem besten Weg dorthin. Dabei ist diese Produktion nicht spektakulär, sie ist eher bodenständig und bietet einen unterhaltsamen Abend mit der bekannten Musik von Georges Bizet, der selbst den Erfolg seiner Oper nicht mehr erlebte; er starb bereits mit 36 Jahren kurz nach der Wiener Aufführung, die seinem Werk zum Durchbruch verhalf.   

Regisseur Kuno Bont setzte keine speziellen Aspekte, seine „Carmen“ ist im zeitlosen „Spanien-Outfit“ zuhause. Es gibt viele Rüschenkleider und Fächer, Blumen im Haar, schmachtende Männer und frivole Frauen. Dazu Liebe, Leidenschaft, Eifersucht und die stete Mahnung an den Tod. Aber die kommt vor allem aus dem Orchestergraben, wo die Musiker des Sinfonieorchesters Liechtenstein für den Bizet-Sound sorgen und Dirigent William Maxfield das Geschehen unten und das von oben zusammenhält. Manchmal hätte man sich an diesem zweiten Aufführungsabend mehr Temperament gewünscht, aber vielleicht forderte ja auch die Hitze ihren Tribut. 

Viel Chor, viel Spiellust

Schon bei der Ouvertüre ist David Jagodic als Don José zu sehen, wie er im Unterhemd, Reiterstiefeln und heruntergelassenen Hosenträgern durch das funktionelle Bühnenbild von René Düsel irrt, als habe er seine Carmen schon erstochen und sei auf der Flucht. Das Ende liegt also im Anfang. Dazu schnattern die Enten vom Werdenberger See herüber, als hätten sie Angst, ihren Einsatz zu verpassen. Dann erobert der Chor die Bühne – jene 47 Mutigen, die mit Sangesfreude und Spiellust allen Corona-Unkenrufen trotzten und gemeinsam mit ihrem Chorleiter Christian Büchel die Partien in Französisch einstudierten. Im Laufe des Abends sind sie Soldaten und Schmuggler, Bettler und Schaulustige, Arbeiterinnen und Saufkumpane. Was immer ihnen aufgetragen wurde und wofür man sie in die passenden Kostüme steckten – sie singen alles mit Freude und Spaß am Spiel. Das ist deutlich zu hören und überdeckt auch so manchen gesanglichen Mangel. Regisseur Kuno Bont hat ein gutes Händchen für den Einsatz des Chores – er individualisiert die jeweiligen Personen und macht sie so zu  Mitspielenden. Im Einsatz ist auch der Kinder- und Jugendchor der Musikschule Werdenberg unter der Leitung von Rebekka Bonderer. Die jüngsten Mitwirkendenden dieser Festspiele kommentieren auf ihre Art die Wachablöse der Soldaten, wobei einige der Kinder von Stelzenläufern als Marionetten geführt werden. Warum?

Ein bisschen Spanien am Werdenberger See

Dann kommen die Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik von unten (aus dem See?) hochgestiegen. Ihre Welt ist von Gitterzäunen eingeengt. „Rauch ist das sanfte Sprechen von Liebenden“, singen sie und erinnern in ihrem Eingesperrtsein an den berühmten Nabucco-Gefangenenchor – sie wollen aber nicht ihre Gedanken fliegen  lassen, sondern ihre Gefühle. Wie auch der Star in ihrer Mitte: Carmencita, ganz in Rot und satt gerüscht (Kostüme Evelyne M. Fricker). Kathrin Walder singt ihre erste Carmen – sie gibt ihr Leidenschaft, Tanzlust und Bestimmtheit. Eine Frau, die weiß, was sie will – und vor allem: was sie nicht will. Das bekommt sie mit ihrer starken Stimme hervorragend hin. Trotzdem wird nicht ganz klar, warum sich Don José in sie verliebt – das bleibt wohl das Geheimnis von Tenor David Jagodic, der anfänglich eher unbeweglich, gegen Ende aber immer offener wird, was sich auch in seiner Stimme äußert. Seine innige Blumenarie bringt nicht nur Carmen zum Dahinschmelzen. Dabei gehört Don José doch eigentlich ganz klar zu Micaëla, die bei Brigitta Simon nicht nur über eine klare und sicher geführte Stimme verfügt, sondern auch jenes schauspielerische Können, das sie zu exakt der Figur der unschuldig Liebenden werden lässt. Eine perfekte Besetzung.

Durchwegs gut besetzt

In dieser Aufführung werden Nebenrollen manchmal auch zu Haupt-Nebenrollen, wie bei Judith Dürr als Frasquita und Mirjam Fässler als Mercédès. Die beiden haben kräftige Stimmen, eine starke Ausdruckskraft und viel spielerische Leidenschaft. Vor allem Mirjam Fässler empfahl sich mit ihrer leicht anrüchigen Stimme als potentielle Carmen. Stimmlich sauber auch Clemens Morgenthaler als Zuniga und Christian Büchel als Moralés. Eine spezielle Note brachten Mindaugas Jankauskas als Remendado und André Sesgör als Dancairo ins Spiel. Sie schienen geradewegs aus den Dreharbeiten zu „Pirates oft he Caribbean“ zu kommen und alberten mit wahrer Lust, aber auch guten und voluminösen Stimmen. Nicht leicht hatte es Šarūnas Šapalas als Escamillo – eine blendende Erscheinung mit viel tänzerischem Körpereinsatz, dessen Stimme die Höhen mühelos meistert, in den Tiefen aber große Mühe bekundet. Vielleicht ist seine Stimme auch nur zu jung für diese Partie.

Von "Corona" war an diesem Abend wenig zu spüren, außer den obligatorischen Desinfektionsmitteln am Ein- und Aufgang und eine leicht erweiterte Sitzordnung. Kuno Bont hat seine "Carmen" nicht in unsere Zeit versetzt und selbst als er Tänzerinnen mit Masken auftreten ließ, waren dies keine "Corona"-Masken, sondern eher Fasnachtslarven. Ein Abend also, der Corona vergessen (oder vermissen?) ließ. 

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