Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Walter Gasperi · 19. Nov 2011 · Film

Anonymus

Roland Emmerich hat sich mit Katastrophenfilmen wie „Independence Day“, „The Day After Tomorrow“ oder „2012“ einen Namen gemacht. In seinem neuen Film baut er um die seit dem 18. Jahrhundert immer wieder vertretene These, dass hinter der Urheberschaft von Shakespeares Werken ein englischer Adeliger steckt, einen historischen Politthriller. – Dank Computeranimation erweckt das „Spielbergle aus Sindelfingen“ zwar das London um 1600 wieder zum Leben und auch die Schauspieler wissen zu überzeugen, doch gewohnt oberflächlich sind Erzählweise und Figurenzeichnung.

Die Aufführung eines Stückes mit dem Titel „Anonymous“ im New York der Gegenwart lässt einen Schauspieler Basisinformationen über Shakespeare vermitteln. Alsbald setzt Theaterregen ein und fließend taucht der Film vom New York des 21. Jahrhunderts ins London des frühen 17. Jahrhunderts ab, wo bei heftigem Regen eine wilde Verfolgung durch die schlammigen Gassen in Gange ist. – Ebenso einfach wie elegant ist dieser Einstieg.

Oxford-Theorie

Vom Ende aus erzählt Emmerich in der Folge, der so genannten Oxford-Theorie folgend, seine Version vom wahren Entstehungsprozess von „Shakespeares“ Werken. Denn der von Soldaten verfolgte Ben Jonson (Sebastian Armesto) kann sich zwar in das Globe Theatre retten und gerade noch ein Bündel Manuskripte verstecken, muss sich aber ergeben, als die Häscher das Gebäude in Brand stecken. Abgeführt in den Tower erinnert sich Jonson während des brutalen Verhörs an die Vorgeschichte.
Weil es für Edward de Vere (Rhys Ifans), den 17. Earl of Oxford, nicht standesgemäß war, Dichtungen und Stücke unter seinem eigenen Namen zu veröffentlichen, schob er als Strohmann gegen Bezahlung Jonson vor. Der hält sich zwar im Hintergrund, gibt nichts über den wahren Autor preis, doch keine Skrupel kennt der zweitklassige Schauspieler Will Shakespeare (Rafe Spall). Obwohl er nur des Lesens, nicht aber des Schreibens mächtig ist, nützt er die Chance, als das Publikum eine Aufführung von „Herny V.“ bejubelt, und präsentiert sich kurz entschlossen als Autor des Stücks. – Sein Ruhm und auch sein Einkommen sind damit gesichert, den wahren Autor wird er schließlich sogar noch erpressen.

Stücke mit zeitpolitischen Spitzen?

Geschickt bietet Emmerich über die Aufführung von Shakespeare-Stücken Einblick in das Werk des englischen Dichters und zeigt dabei auch die angeblich von de Vere in die Historiendramen verpackten zeitpolitischen Akzente auf. Denn am Hof werden Intrigen geschmiedet, steht doch die Nachfolge der ohne legitimen Erben gealterten Königin Elisabeth (Vanessa Redgrave) an. Während Kanzler Robert Cecil (Edward Hogg) den Schotten James auf den Thron hieven will, begünstigen andere den jungen Earl of Southhampton (Xavier Samuel). De Vere ganz Gentleman versucht da über seine Dichtkunst Einfluss auszuüben.
Eingeschoben werden in diesen Erzählstrang aber auch Rückblenden in die Jugend des Earls, der als Waise beim Kanzler aufwuchs, von diesem mit seiner Tochter verheiratet wurde, aber auch eine Affäre mit der – in der offiziellen Darstellung immer als jungfräulich dargestellten - Königin hatte. Nicht nur ein Kind soll aber aus dieser Beziehung entstanden sein, sondern Emmerich treibt seine kühnen Spekulationen noch viel weiter.

Perfekte Computeranimation, biedere Inszenierung

Perfekt am Computer animiert ist dieses London, mit Detailreichtum gestaltet und Emmerich schwelgt folglich auch in Ansichten vom Tower, den verdreckten Gassen, dem eindrucksvollen Nachbau des Globe Theatre und prunkvollen Kostümen. Brav spielen auch die Schauspieler. Einen schweren Stand hat freilich Rhys Ifans als zurückhaltender Gentleman de Vere. Schwer ist es so einer blassen Figur wirklich Profil zu verleihen, ungleich leichter tut sich da Rafe Spall als Shakespeare. Als gierigen Tropf zeichnet ihn Emmerich, als Lustmensch, der keine Rücksicht kennt und auch mal einen Mitwisser beseitigt.
Routiniert spult Emmerich das Programm eines Politthrillers im historischen Gewand herunter, setzt aber letztlich zu wenig Akzente. Oberflächlicher Handlungsreichtum geht hier vor tieferer Durchdringung des Stoffes, mehr verwirrend als erhellend sind die wiederholten Zeitsprünge zwischen dem jugendlichen und dem gealterten Earl of Oxford. Vertuscht werden soll damit wohl, dass Emmerich im Grunde nicht Imstande ist längere Szenen und Handlungsbögen spannend zu gestalten.
Kaum thematisiert wird hier das Theaterverbot der Puritaner, spannender ist schon, wie hier gezeigt wird, wie man das Volk durch Theater – übertragbar ist das freilich auch auf das Medium Film – manipulieren und zum Agieren bewegen kann. Aber wirklich entwickelt wird keines der angerissenen Motive, unterhaltsam ist dieses Intrigenspiel, das am Ende schön den Bogen zum Anfang schließt, dennoch und kann durchaus auch Lust auf Shakespeare machen.