Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Gunnar Landsgesell · 27. Nov 2014 · Film

Am Sonntag bist Du tot

Ein Thriller als präzise Milieustudie: Brendan Gleeson spielt einen Priester, dem der baldige Tod angekündigt wird. Schwarzer Humor und menschliche Tiefe verbinden sich in "Calvary" auf erstaunliche Weise.

Mit der Ankündigung eines Mordes beginnt „Calvary“ (auf Deutsch: Kalvarienberg) ganz im Stil eines Thrillers. Ein Mann betritt den Beichtstuhl und offenbart Pater Lavelle, dass er als Kind von einem Priester missbraucht wurde. Für dieses zerstörte Leben werde er seinerseits das Leben eines Priester nehmen, aber nicht das seines Peinigers, der sei ohnehin schon verblichen. Er wolle einen guten Priester töten, jemand, der seine Berufung bestens erfülle, der ein Vorbild ist. Erst dann sei der Schmerz wirklich spürbar. Deshalb habe er ihn, Pater Lavelle, ausgesucht. In einer Woche werde er sein Urteil vollstrecken.

Lavelle, von einem vollbärtigen Brendan Gleeson wie ein Fels in die Brandung gesetzt, reagiert in jener schwarzhumorig-trockenen Tonart, die der gesamten Inszenierung ihre eigentümliche Stimmung verleiht. Nüchtern, fast schon mit gespielter Emotion entgegnet er seinem unbekannten Gegenüber, diese Beichte sei doch „überraschend“, ja „erschreckend“. Was dann folgt ist gleichsam die Suche nach dem Mörder: in Form skurriler, aber nie banaler Begegnungen zwischen dem Priester und seinem Kirchenvolk, irgendwo im katholischen Irland. Die Beziehungen der Dorfbewohner zum Repräsentanten der Kirche sind durchwegs von Skepsis bis Abscheu geprägt. Regisseur John McDonagh setzt dabei als Hintergrund die Missbrauchsskandale in der Katholischen Kirche ein, um sein irritierendes Spiel mit den Gefühlen des Publikums zu treiben. Wie verhält es sich hier mit Schuld, mit Veranwortung, Gerechtigkeit und Rache? Vor dem Hintergrund dieser Debatte bewegt sich „Calvary“ unmerklich von der kriminalistischen Suche zur punktgenauen Milieudarstellung: Persönliches Unglück, Gewalt, Lügen, Intrigen, Amoral und etliches an Gefühlen mehr erweist sich zunehmend als der wahre Kitt dieser Dorfgemeinschaft. Vater Lavelle tritt rational und erdverbunden als Ordnungsstifter auf und gerät dabei doch immer mehr zum Büßer. Er, der selbst eine Tochter hat und früher dem Alkohol zugesprochen hat, muss nun die ihm geschulterte Bürde seiner hadernden Gemeinde auf sich nehmen. Wir folgen ihm ungläubig, wenn er die Stationen seines eigenen Kalvarienbergs beschreitet.

Im Verbund mit seinem kongenialen Darsteller Gleeson versteht sich Regisseur McDonagh dabei, auf der Klaviatur der Gefühle des Zuschauers zu spielen. Messerscharfe Dialoge, die durch ihren Sarkasmus ins Fleisch schneiden, werden durch die menschliche Tiefe dieser Erzählung konterkariert. Erstaunlich, dass bei all den Doppeldeutigkeiten und Schlüpfrigkeiten dieser Inszenierung der Ernst nie abhanden kommt. Für das Publikum fällt die Orientierung gerade zu Beginn nicht leicht: Hat man es hier mit einer Parodie zu tun oder mit dem Urbild nackten Lebens? Aber erst auf dieser doppelten symbolischen Ebene erlangen diese Passionsspiele ihre Sinnträchtigkeit.