Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Walter Gasperi · 15. Mai 2011 · Film

Almanya - Willkommen in Deutschland

Wie nahmen die türkischen Gastarbeiter Deutschland wahr, als sie in dieses fremde Land kamen? Wie gingen sie mit der fremden Kultur um? Und wie schaut es heute mit ihrer Integration aus? – Solche Fragen klingen nach ernstem Stoff, doch die Samdereli-Schwestern erzählen davon in ihrem Feelgood-Movie sichtlich von eigenen Erfahrungen geprägt leichthändig, aber auch sehr klamaukig.

Ja nicht anecken, lieb und nett sein will „Almanya – Willkommen in Deutschland“. Für das Verhältnis zwischen Deutschen und Deutschtürken will dieses Feelgood-Movie das sein, was vor acht Jahren „Good Bye, Lenin!!“ für das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen war. Das Niveau von Wolfgang Beckers Film erreichen Yasemin Samdereli (Regie, Drehbuch) und Nesrin Samdereli (Drehbuch) mit ihrer Familiengeschichte aber nicht.

Kurzatmiges, episodisches Erzählen

Dramaturgisch geschickt verknüpfen die Schwestern zwar eine in der Gegenwart angesiedelte Reise der Familie Yilmaz in die Türkei mit Erzählungen zur Familiengeschichte, gleichzeitig wird mit dieser Erzählstrategie aber auch das Aufkommen eines großen Erzählbogens verhindert. Der Film zerfällt in kurze Episoden, in denen jeweils ein Detail der Migration, des Lebens in der Fremde oder der heutigen Befindlichkeit vermittelt wird.
Auslöser der Handlung ist auf der einen Seite der sechsjährige Cenk (Rafael Koussouris), der nicht so recht weiß, ob er nun Deutscher oder Türke ist: Da fällt er bei den Fußballmannschaften in der Schule durch den Rost und die Lehrerin kann auf der Landkarte auch kein Fähnchen an seinem Herkunftsort fixieren, endet doch die Europakarte gleich hinter Istanbul.
Auf der anderen Seite ist da Cenks Opa (Vedat Erincin), der im September 1964 als 1.000.001ster Gastarbeiter nach Deutschland kam, jetzt endlich einen deutschen Pass erhält, andererseits aber gerade ein Haus in der Türkei gekauft hat und mit der Familie nochmals an den Ort zurückkehren will, den er immer noch als seine Heimat ansieht.
So bricht einerseits die ganze Familie mit Großeltern, vier Kindern und zwei Enkeln mit Flugzeug und Bus auf und andererseits erzählt die 22-jährige Canan (Aylin Tezel) ihrem Cousin Cenk immer wieder über die Familiengeschichte von der Jugend des Opas in der Türkei, über die Ankunft in Deutschland, die Migration der Familie und die zunehmende Übernahme der deutschen Kultur.

Spiel mit Vorurteilen und Klischeebildern

Wie fremd die Welt für die Migranten war, wird vor allem in einem Trick sichtbar, mit dem die Samderelis auf sprachlicher Ebene arbeiten: Während die Gastarbeiterfamilie nämlich Hochdeutsch spricht, reden die Deutschen wie einst in Charlie Chaplins „Der große Diktator“ nur ein unverständliches Kauderwelsch. Auch sonst ist freilich das Deutschland des Wirtschaftswunders für die Neuankömmlinge fremd von der Toilette mit Kloschüssel über kurzbeinige Hunde, die an der Leine geführt werden, bis zur Vorstellung, dass die Deutschen ihren Gott essen und sein Blut trinken. Konsequent wird dabei auch auf der Bildebene der lichtdurchfluteten in warme Farben getauchten Türkei ein kaltes blaugraues Deutschland gegenübergestellt.
Vorurteile und Klischeebilder werden hier vorgeführt und ironisch aufgedeckt, gleichzeitig aber vielleicht doch wieder zementiert und immer wieder werden auch die einstigen Deutschlanderfahrungen geschickt mit den heutigen Türkeierfahrungen kontrastiert. Denn war man einst angeekelt von der deutschen Toilette so ist man nun von der türkischen entsetzt und skeptisch blickt Cenks in Deutschland geborener Vater Ali ((Denis Moschitto) auf die in einer türkischen Raststätte angebotenen Spezialitäten.

Harmlos, aber unterhaltsam

Warmherzig zeichnen die Samderelis, unterstützt von einem perfekt gecasteten und lustvoll aufspielenden Ensemble eine rundum sympathische Familie und befriedigen mit der Schilderung ihrer heilen Welt, in der es keine Ausländerfeindlichkeit gibt, die zerstrittenen Brüder sich wieder versöhnen und sogar der Tod seinen Schrecken verliert, zweifellos die Sehnsüchte eines Massenpublikums. Facettenreich und sehr unterhaltsam, aber auch kurzatmig und nicht wirklich tiefschürfend handeln sie das Thema „Migration“ ab, wobei negative und beklemmende Aspekte verharmlost oder ausgespart werden. Die Figuren sind mehr Stereotypen, die die Vorstellungen von typischen Deutschtürken erfüllen sollen, als komplexe Charaktere von den Großeltern, die nur türkisch sprechen über die mittlere Generation, die keine echte Heimat gefunden hat, bis zu den Enkeln, die sich eher als Deutsche fühlen, Deutsch sprechen und des Türkischen kaum mehr mächtig sind. – So harmlos, allzu sehr auf jeden Gag schielend "Almanya" aber auch daherkommt, so könnte dieser klamaukige Mulit-Kulti-Film doch einen kleinen und ein Massenpublikum erreichenden Beitrag zum Abbau der Konflikte und mehr Verständnis in einer multikulturellen Gesellschaft leisten.