Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Walter Gasperi · 03. Nov 2022 · Film

Aktuell in den Filmclubs (4.11. - 10.11. 2022)

Im Kinotheater Madlen in Heerbrugg steht diese Woche mit Stéphane Brizés „Un autre monde" meisterhaftes sozialrealistisches Kino über einen Angehörigen des mittleren Managements auf dem Programm. Die Kinothek Lustenau zeigt dagegen mit Bertrand Mandicos „After Blue – Verschmutztes Paradies" eine wilde, unübersehbar von Roger Vadims kultigem „Barbarella" inspirierte Fantasie.

Un autre monde: Nach „La loi du marché – Der Wert des Menschen" (2015) und „En guerre – Streik" (2018) schließt Stéphane Brizé mit „Un autre monde" seine Trilogie über die moderne kapitalistische Arbeitswelt ab. Stand bei „La loi du marche" ein etwa 50-jähriger Langzeitarbeitsloser auf Jobsuche im Zentrum und bei „En guerre" ein Gewerkschaftler, der gegen die Schließung einer Fabrik kämpft, so scheint Brizé in „Un autre monde" die Seiten zu wechseln.
Im Zentrum steht nämlich nun ein Manager. Wie die beiden vorigen Protagonisten wird er von Vincent Lindon gespielt und wie in den vorigen Filmen ist Lindon in jeder Szene präsent. Sein Philippe Lemesle scheint auf den ersten Blick zu den Mächtigen im Wirtschaftsleben zu gehören. Brizé deckt aber ebenso nüchtern wie bestechend auf, wie auch dieser Leiter einer regionalen Fabrik in ein Räderwerk eingebunden ist, wie er ständig unter Druck steht und wie seine Familie daran zerbricht.
Nüchtern, aber präzise deckt Brizé ein kapitalistisches Denken auf, in dem Gier die einzige Triebfeder der Handlung ist und Menschlichkeit auf der Strecke bleibt. Dicht reiht der französische Regisseur Szene an Szene, keine Leerstelle und keine Ablenkung gibt es hier. Durchschlagskraft und Intensität entwickelt dieses Drama durch die Komprimiertheit und Schnörkellosigkeit. Keine Szene, kein Dialog ist hier zu viel, jedes Bild hat seine Funktion.
Die Dominanz von Grau- und Blautönen sowie weißes Licht erzeugen eine kalte Stimmung. Gering gehalten ist die Schärfentiefe, der Fokus liegt ganz auf dem menschlichen Gesicht, kaum einmal weiten Totalen den Blick. Trotz Breitwandformat entwickelt „Un autre monde" in dieser Nähe zu den großartig gespielten Charakteren beklemmende Enge.
Kinotheater Madlen, Heerbrugg: Mo 7.11., 20.15 Uhr


After Blue – Verschmutztes Paradies:
Auf einem Planeten, auf dem nur Frauen leben, schickt der Franzose Bertrand Mandico, der vor einigen Jahren mit dem surrealen „Les garcons sauvages – The Wild Boys" auf sich aufmerksam machte, eine Mutter mit ihrer Tochter auf die Jagd nach einer Mörderin. Wie das Duo in dieser Welt, in der es keine moderne Technik gibt, auf Pferden und bewaffnet mit Gewehren zunächst durch eine an „Mad Max" erinnernde Wüstenlandschaft, dann durch Wälder reitet, verschiedene Begegnungen macht und auch in eine düstere Mine eindringt, orientiert sich einerseits am Western, andererseits ist aber auch das Vorbild von Roger Vadims kultigem 1960er Jahre Science-Fiction-Film „Barbarella" unübersehbar.
Durchaus Sog kann diese wilde Fantasie durch das Spiel mit Licht und Farben, expressives Sounddesign und lange Überblendungen zunächst entwickeln, doch da sich hinter dieser Verpackung, der man mit ihren häufig unbekleideten Frauen auch den Vorwurf einer sexistischen Männerfantasie machen kann, nichts verbirgt, läuft sich das Vergnügen bald tot und ermüdet mit seiner Überlänge von fast 140 Minuten zunehmend.
Kinothek Lustenau: Di 8.11., 20 Uhr; Mi 9.11., 18 Uhr; Di 15.11., 20 Uhr; Mi 16.11. 18 Uhr


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