Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Walter Gasperi · 22. Jul 2021 · Film

Aktuell in den Filmclubs (23.7. - 29.7. 2021)

Das Open-Air des Kunsthaus Bregenz startet nächste Woche mit Vera Chytilovás surrealistisch-verspieltem Klassiker "Tausendschönchen". Beim Open-Air in Tschagguns wird dagegen schon morgen Ken Loachs "Angel´s Share" gezeigt, in dem vier Underdogs planen, vier sündteure Whiskyflaschen zu stehlen

Tausendschönchen: In der Tschechoslowakei ließ die zunehmende Liberalisierung des kulturpolitischen Klimas in den 1960er Jahren im Kino eine neue Welle entstehen. Miloš Forman drehte quasidokumentarische Alltagsstudien, Jiří Menzel schilderte mit viel Humor menschliche Schwächen und Věra Chytilová inszenierte mit "Tausendschönchen" (1966) ein ebenso fantasievolles wie anarchisches Pamphlet gegen die bürgerliche Gesellschaft. Eine Story im klassischen Sinne gibt es hier nicht. Einzelne Szenen werden aneinander gereiht, in denen zwei unzertrennliche junge Mädchen gegen die Gesellschaft rebellieren, alte Männer ausnehmen und diese dann mit dem Zug verschicken, eine Klofrau bestehlen, ein Bankett vernichten und sich immer wieder mit Getränken und Speisen vollstopfen.
Wie die Mädchen sich an keine Konventionen halten, so erlaubt sich auch die Regisseurin eine geradezu unerhörte Freiheit im Umgang mit den filmischen Mitteln. Völlig unverkrampft wird hier mit Licht und Farbe, mit Kostümen, Bildaufbau und Musikeinsatz experimentiert, wird jede logische Dramaturgie durchbrochen, auf Charakterisierung und Psychologisierung der Figuren verzichtet und Philosophie mit Slapstick vermischt. - Eine hinreißende, ebenso vergnügliche wie vieldeutige, brillant geschnittene Collage aus Filmschnipseln ist so entstanden, die nicht nur von Anarchie erzählt, sondern durch ihre Form anarchische Sprengkraft gewinnt und trotz des Alters von 55 Jahren eine unverschämte Frische bewahrt hat.
KUB Open-Air, Karl Tizian Platz, Bregenz: Do 29.7., 21.15 Uhr

The Angel´s Share: Trotz junger Jahre stehen Robbie, Mo, Rhino und Albert nicht zum ersten Mal vor dem Richter: Albert hat betrunken den Zugverkehr behindert, Mo klaut immer wieder, Rhino hat auf ein Denkmal uriniert und Robbie, der schon im Knast saß, weil er in einem Wutanfall einen anderen Jugendlichen fast zu Tode geprügelt hat, hat sich schon wieder in eine Rauferei verwickeln lassen. Weil Robbies Freundin aber hochschwanger ist, entgeht er einer langjährigen Haftstrafe und wird wie die anderen Angeklagten zu Sozialdienst verurteilt.
Keineswegs rosig sind die Zukunftsaussichten für das Quartett, doch dann hören sie von vier sündteuren Flaschen Whisky, die versteigert werden sollen. Mit dieser Summe könnte man wirklich neu anfangen und rasch ist der Plan zu einem ebenso verwegenen wie coolen Coup gefasst.
Keine besondere Kunstfertigkeit scheint die Filme von Ken Loach auszuzeichnen, sie wirken wie dem Leben abgeschaut, auch wenn die Handlung hier märchenhafte Züge aufweist. Prägnant zeichnen Loach und sein langjähriger Drehbuchautor Paul Laverty die Figuren und ihre Situation. Witz kommt nicht zu kurz, doch in den Witz mischt sich auch immer das Mitgefühl mit den Helden, die nie eine Chance hatten, und die Kritik an einer Justiz, die emotionslos fließbandartig Urteile fällt.
Verklärt wird aber auch Robbie nicht. In einer bewegenden Begegnung mit seinem Opfer zeigt Loach, was dieser üble Schläger angerichtet hat. Gleichzeitig spürt man in dieser Szene aber auch, wie sehr Robbie diese Tat bereut und wie groß sein Wunsch ist sich zu ändern.
So ist „The Angels` Share", dessen Titel sich auf die 2% Whisky beziehen, die im Laufe eines Jahres verdunsten und als Anteil der Engel bezeichnet werden, wie immer bei Loach ein Film über die Kraft der Freundschaft und Solidarität von Underdogs. Aber es ist auch ein Film darüber, wie ein Mensch mit Hilfe eines anderen dem Milieu entkommen kann und damit ein Appell zum Abbau von Vorurteilen und zur unvoreingenommenen Behandlung von Menschen, die am Rand oder außerhalb der Gesellschaft stehen.
Tschagguns, Haus und Garten der ehemaligen Caritas-Werkstätte (Bahnhof): Fr 23.7., 21.30 Uhr

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