„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Gunnar Landsgesell · 16. Jul 2021 · Film

Der Rausch

Vier Lehrer, die sich in ihren Routinen erstarrt fühlen, beschließen in einem Experiment zu Spiegeltrinkern zu werden, um eine neue Lockerheit zu versuchen. Zwischen irritierender Komik und Sozialsatire hat Thomas Vinterberg für seinen jüngsten Film einen Oscar und den Europäischen Filmpreis für den besten Film eingefahren.

"Alkohol ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot", sang Herbert Grönemeyer einmal ironisch über eine Alltagsdroge, die im Film gemeinhin für eher triste Lebensabschnitte steht. - Wenngleich Regisseur Thomas Vinterberg in "Der Rausch" ("Druk") eine etwas andere Richtung einschlägt. Mit einem Augenzwinkern lässt er vier Lehrer aufeinandertreffen, die die Frage umtreibt, ob ein konstanter Spiegel dem eigenen Leben vielleicht auch einen überraschenden Dreh, ein neues Momentum verleihen könnte. Die vier Lehrer - von Vinterbergs langjährigen Weggefährten Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Lars Ranthe und Magnus Millang verkörpert - haben zwischen Routinen und erkalteten Beziehungen festgefahren einen obskuren Philosophen entdeckt, der behauptet, der Mensch sei mit einem Alkoholdefizit auf die Welt gekommen. Erst mit konstant 0,5 Prozent im Blut würde sich eine bestimmte Balance, eine Lockerheit einstellen. Tatsächlich lassen sich die Schüler von Martin (Mikkelsen) durch die neue Lockerheit seiner Unterrichtsmethode begeistern, in seiner Ehe ist das nicht ganz so eindeutig.
Auch wenn Thomas Vinterberg jüngst auf die Frage, was denn von Dogma geblieben sei, geantwortet hatte, "nichts", erinnert "Der Rausch" durchaus an die dramaturgischen und ästhetischen Prinzipien, die die dänische Regiegruppe rund um Lars von Trier und Vinterberg vor Jahren vertrat. Wieder geht es um ein soziales Experiment, um Grenzsituationen und trotz aller satirischer Überhöhung um einen gewissen Realismus, mit dem Vinterbergs Akteure den Alkohol als Quell der Befreiung benutzen. Freilich mit Ablaufdatum. Selbst einem Schüler wird ein Schluck "Klarer" empfohlen, um das von Prüfungsängsten verschüttete Wissen freizulegen. Vinterberg reizt dabei besonders in der Figur von Mikkelsen die Gefühlslagen aus. In einer Anfangsszene zeigt sich der Schauspieler mehr noch als in "Die Jagd" angreifbar und verletzlich. Mit dem Dauerschwips erlebt der einst engagierte Lehrer eine Hochphase, wobei Vinterberg offen lässt, ob sich dem Publikum nun das Innerste seines Protagonisten offenbart oder ob dieser vielmehr Dinge wagt, die aus der geistigen Vernebelung entstehen. Irritierende Komik und Gesellschaftskritik gehen hier selbstverständlich Hand in Hand. Das gilt auch für kurze Einschübe wie jenen, als Vinterberg bekannte Gesichter der Weltpolitik wie Angela Merkel, Boris Johnson, Jean-Claude Juncker (!) oder Bill Clinton zeigt, der sich lachend und offenbar sturzbetrunken an der Schulter von Boris Jelzin abstützt. Wenn die Welt schwankt, lässt sich nicht mehr sicher sagen, wo die Vernunft eigentlich steht. Für Martins Frau (Maria Bonnevie) und deren Kinder zeitigt das eher Schattenseiten, doch mit den Schülern der Klasse sind noch einige Tänzchen drin. Mikkelsen, der eine Tanzausbildung hat, nimmt dafür gerne noch einen Schluck.