Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Walter Gasperi · 21. Jän 2011 · Film

72 Stunden - The Next Three Days

Was riskiert man und wie weit geht man für seine Frau? – Weil Lara Brennan aufgrund von Indizien wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, beschließt ihr Mann sie aus dem Gefängnis zu befreien – und der biedere Englischlehrer entwickelt dabei zunehmend kriminelle Energie. Ganz auf Russell Crowe zugeschnitten ist Paul Haggis´ Thriller, im Großen perfekt aufgebaut ist das Drehbuch und souverän die Inszenierung, doch Ambivalenzen fehlen und logische Brüche im Detail werfen den Zuschauer immer wieder aus dem Film.

Wieso ist Lara Brennan (Elisabeth Banks) so aufgekratzt und aggressiv beim Essen mit ihrem Mann und dem verwandten Ehepaar? – Unvermittelt setzt „72 Stunden – The Next Three Days“ ein, lässt Fragen offen. Unvermittelt steht auch am nächsten Morgen die Polizei vor dem Haus der Brennans und schon wird die Gattin wegen Mordes verhaftet. – Aber beim Zuschauer stellt sich auch schon die erste Irritation, das erste Kopfschütteln ein: Marschieren wirklich ein halbes Dutzend Polizisten mit gezückter Pistole an, wenn eine bislang unbescholtene Ehefrau verhaftet werden soll?

Besessen von einem Plan

Welcher Tat Lara Brennan genau beschuldigt wird, erfährt man erst einiges später, wenn ihr Mann John (Russell Crowe) nochmals die Akten studiert, inzwischen aber auch akzeptieren muss, dass keine Hoffnung auf Wiederaufnahme des Verfahrens besteht. Mit seinem Sohn Luke besucht er seine Frau im Knast – und man sieht, wie sich das Kind der Mutter zunehmend entzieht. Nicht Tage vergehen hier, sondern drei Jahre. Und während alle – auch Johns Eltern – von der Schuld der Schwiegertochter überzeugt sind, hält einzig ihr Mann am Glauben an der Unschuld fest.
Weil das Leben in Haft bis zum Tod nicht Laras Leben sein soll, beginnt er mit dem Gedanken ihrer Befreiung zu spielen. Wie Don Quijote, über den der Collegeprofessor in seinen Vorlesungen referiert, plant er gegen die Windmühlen der Justiz zu kämpfen. Sukzessive engt Paul Haggis den Zeitrahmen ein, lässt auf die schnell abgehakten drei Jahre der Gefängnisbesuche, drei Monate der Vorbereitung der Befreiung folgen, um dann in den letzten drei Tagen das Tempo mächtig zu erhöhen. Bei einem ehemaligen Häftling und Ausbrecherkönig (Liam Neeson) holt sich John Tipps, versucht falsche Pässe für das Leben danach zu organisieren, gerät dabei in die Drogenwelt und wird selbst zunehmend rücksichtsloser und brutaler.

Russell Crowe - Das Kraftzentrum von "72 Stunden"

Da verrennt sich einer in eine fixe Idee und nichts kann ihn stoppen. Nur kurz irritiert ist er, als seine Frau bei einem seiner Besuche einmal den Mord gesteht, denn John will ihr so wenig glauben wie der Zuschauer. Nur noch zweimal kommt er kurz zum Nachdenken, als durch seine Aktionen Kinder, die etwa im Alter seines Sohnes sein dürften, wirklich oder vermeintlich in Gefahr geraten, doch Haggis vertieft diese Brüche und Unsicherheiten nicht. Auch die Szene beim Ausbrecherkönig, der darlegt, wie sich die Sicherheitsvorkehrungen seit 9/11 erhöht und damit die Ausbruchschancen verringert haben, wird nicht weiterentwickelt.
Wie bei Florian Henckel von Donnersmarcks „The Tourist“ handelt es sich auch bei „72 Stunden“ um das Remake eines französischen Thrillers. Schwächen hat zwar auch die US-Auflage von „Ohne Schuld“, aber ein wesentlich stärkeres Kinostück als das Hollywood-Debüt des deutschen Oscarpreisträgers ist dies allemal. Konsequent aus der Perspektive von Brennan erzählt Haggis, sodass der Zuschauer weitgehend auf seinem Wissenstand ist und mit und um ihn fiebert. Ideal besetzt ist dieser mit Russell Crowe, ihm glaubt man die Wandlung des Lehrers zum Mann, der im Festhalten an seinem Plan zunehmend größere kriminelle Energie entwickelt,  hat der Australier doch sowohl den Mathematiker John Nash in „A Beautiful Mind“ als auch den „Gladiator“ oder den Gesetzlosen in „Todeszug nach Yuma“ gespielt.

Fehlende Ambivalenzen und logische Unstimmigkeiten

Keinen Gedanken verliert Haggis daran, dass hier einer selbst das Gesetz in die Hand nimmt und auf eine andere Art Selbstjustiz übt. Nie lässt der Film Zweifel daran aufkommen, dass Brennans Vorgehen bedenklich ist. Selbst als er zur Waffe greift und keine Rücksicht kennt, wenn es um die Beschaffung von Geld geht, steht Haggis hinter seinem Protagonisten, treffen seine Aktionen in der Argumentation des Films doch letztlich die wirklich bösen Verbrecher. Wie der Protagonist förmlich auf Schienen läuft, nur seinen Plan im Auge hat, so geradlinig und ohne Ambivalenzen bleibt auch der Film.
So richtig packen will „72 Stunden“ trotz der souveränen Inszenierung und der überzeugenden Schauspieler aber letztlich nicht nur wegen dieser Glätte nicht. Dramaturgisch sehr gut aufgebaut ist die Handlung zweifellos, doch richtigen Drive entwickelt der Film erst in der zweiten Hälfte. Dann aber kommen ihm bis zum Ende, das man nur mit Kopfschütteln quittieren kann, wieder ständig Unwahrscheinlichkeiten in die Quere. Kommt man bei einem wirklich starken Film gar nicht erst auf die Idee die Plausibilität zu hinterfragen, weil man so vom Geschehen gebannt ist, so stellen sich hier immer wieder Irritationen ein, blickt man von außen mit Stirnrunzeln auf die Aktionen Johns oder auch Laras, die man nicht nachvollziehen kann.
Jede Bodenhaftung verliert Haggis´ nach dem Oscar-Sieger „L. A. Crash“ und dem Irakkriegs-Drama „Im Tal von Elah“ dritter Spielfilm im Finale, wird zur furiosen, aber weitgehend inhaltsfreien Lehrstunde des Regisseurs, der alle Register zieht, aber über dieser Demonstration seines Könnens den Gehalt aus den Augen verliert. Da wird dann „72 Stunden“ zu einem coolen Katz-und-Maus-Spiel, hat aber hinter der Oberfläche nichts mehr zu erzählen. Da passt dann auch das Ende dazu, bei dem nicht nur alle bis dahin herrschenden Ungewissheiten definitiv geklärt werden, sondern auch eine Sicherheit und eine Lösung suggeriert werden, wo in Wirklichkeit viele Fragezeichen und Unsicherheiten gesetzt werden müssten.