Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Füssl · 12. Mai 2021 · CD-Tipp

Wollny – Parisien – Lefebvre - Lillinger: XXXX

Wenn der deutsche Pianist Michael Wollny, sein Landsmann Christian Lillinger an den Drums, der französische Sopransaxophonist Emile Parisien und der amerikanische E-Bassist Tim Lefebvre erstmals zu einem viertägigen Gipfeltreffen außergewöhnlicher Spitzenmusiker zusammenkommen, darf man sich natürlich einiges erwarten. Dennoch dürften die wenigsten Fans dieser gleichermaßen kreativen wie virtuosen Individualisten mit dem nun Vorliegenden, das für die jeweils reichhaltigen und vielschichtigen Diskographien der Protagonisten ziemliches Neuland bedeutet, auch nur ansatzweise gerechnet haben.

Man traf sich an vier Konzertabenden Ende 2019 im „A-Trane“ in Berlin-Charlottenburg und ging ohne Kompositionsmaterial oder vorherige Absprachen spontan ans Werk. Das nun vorliegende Destillat aus dem insgesamt achtstündigen Output wird den vier „X“ im Albumtitel durchaus gerecht, denn die stehen für „eXplore“, „eXpand“, „eXploit“ und „eXterminate“. In der Tat wird in den zehn Stücken lustvoll bislang Unerforschtes erforscht, werden die gewohnten musikalischen Grenzen soweit wie möglich ausgedehnt, wird eine Unmenge kreativer Einfälle rückhaltlos ausgeschöpft und gängige Klischees werden gnadenlos ausgerottet. Es ist eine brisante Mischung aus retrofuturistischen Space-Sounds, avantgardistischem Krautrock, Post-Rock, Jazz-Anleihen, Noise-Fragmenten und Störgeräuschen. Das hat etwas Rauschhaftes, Exzessives, Unberechenbares – nicht zufällig entspricht die auf dem Cover abgebildete Molekularstruktur dem in einigen Pilzen enthaltenen psychedelischen Rauschmittel Psilocybin. Christian Lillinger, dieses Fleisch gewordene Rhythmusgefühl, trommelt sich auf die für ihn typische Weise hyperaktiv, überexakt und blitzschnell durchs soundtrackartige Geschehen. Tim Lefebvre – von Bowie über Costello bis Wayne Krantz mit allen musikalischen Wassern gewaschen – hält auf der Bassgitarre alles zusammen und bringt immer wieder groovende Komponenten ein. Emile Parisien führt mit seinen hypnotisch wirkenden Sax-Exkursionen durch galaktische Nebel in fremdartige interstellare Räume, wo man sich in den vielschichtigen Synthesizerklängen und elektronischen Tastenzaubereien Michael Wollnys endgültig verlieren kann. Selbst wer sich üblicherweise auf Wollnys grandiose Aktivitäten am großen Flügel kapriziert, könnte Vergnügen an dieser musikalischen Abenteuerexpeditionen finden – und kommt hier ganz ohne Magic Mushrooms voll auf seine Kosten.

(ACT)